Sharpes Zorn (German Edition)
er, »also ist es wohl am besten, wenn wir es flussabwärts versuchen. An der Küste werden wir uns dann ein britisches Schiff suchen, und fünf Tage später sind wir in Lissabon und sechs Tage später wieder bei unserem Bataillon.«
»Das wäre nicht schlecht«, freute sich Harper.
Sharpe lächelte. »Joana?«, fragte er. Joana war ein portugiesisches Mädchen, das Harper in Coimbra gerettet hatte und das nun das Quartier mit ihm teilte.
»Ich mag das Mädel«, gab Harper zu. »Sie ist ein braves Mädchen. Sie kann kochen, nähen und sie arbeitet hart.«
»Ist das alles, was sie tut?«, hakte Sharpe nach.
»Sie ist ein braves Mädchen«, wiederholte Harper.
»Dann solltest du sie heiraten«, sagte Sharpe.
»Dafür besteht kein Grund, Sir.« Harper klang verschreckt.
»Wenn wir wieder zurück sind, werde ich mal Colonel Lawford fragen«, sagte Sharpe. Offiziell waren nur sechs Ehefrauen bei den Männern einer Kompanie erlaubt, doch der Colonel konnte Ausnahmen gestatten.
Harper schaute Sharpe lange an und versuchte herauszufinden, ob sein Captain das ernst meinte oder nicht, doch Sharpe ließ sich nichts anmerken. »Der Colonel hat schon genug um die Ohren, Sir«, sagte Harper schließlich.
»Was denn? Wir machen doch die ganze Arbeit für ihn.«
»Aber er ist ein Colonel, Sir, da macht er sich doch um alles Sorgen.«
»Und ich mache mir Sorgen um dich, Pat. Ich mache mir Sorgen, dass du ein Sünder bist. Ich mache mir Sorgen, dass du in die Hölle fährst, wenn du jetzt stirbst.«
»Wenigstens werden Sie mir da Gesellschaft leisten, Sir.«
Sharpe lachte. »Stimmt. Also werde ich den Colonel vielleicht doch nicht fragen.«
»Da sind Sie ja noch mal davongekommen, Sergeant«, bemerkte Slattery amüsiert.
»Aber es hängt alles von Moon ab«, sagte Sharpe. »Wenn er den Fluss überqueren und versuchen will, die anderen einzuholen, dann werden wir das tun müssen. Und wenn er flussabwärts will, dann werden wir flussabwärts gehen. Aber so oder so: In einer Woche wirst du wieder bei Joana sein.«
In diesem Augenblick tauchte ein Reiter auf dem Hügel im Norden auf, von wo aus Sharpe Stadt und Haus zum ersten Mal gesehen hatte. Sharpe holte sein Fernrohr heraus, doch als er es vor die Augen hob, war der Mann verschwunden. Vermutlich war das nur ein Jäger, sagte er sich selbst. »Also bereitet euch auf den Aufbruch vor, Pat. Und ihr werdet den Brigadier holen müssen. Er hat jetzt zwar Krücken, aber wenn die verdammten Froschfresser auftauchen, dann müssen wir so schnell wie möglich den Fluss hinunter, und ihr müsst ihn tragen.«
»Im Hof steht eine Schubkarre, Sir«, sagte Hagman. »Für Mist, Sir.«
»Die werde ich auf die Terrasse stellen«, erklärte Sharpe.
Er fand die Schubkarre hinter einem Misthaufen, fuhr sie zur Terrasse und stellte sie neben die Tür. Jetzt hatte er alles getan, was er tun konnte. Er hatte ein Boot, es wurde bewacht, die Männer waren bereit, und nun wartete alles nur noch auf Moons Befehl.
Sharpe setzte sich vor die Tür des Brigadiers und nahm den Tschako ab, damit die Wintersonne ihm das Gesicht wärmen konnte. Müde schloss er die Augen, und binnen Sekunden war er eingeschlafen, den Kopf an die Hauswand gelehnt. Er träumte, und er war sich bewusst, dass es ein schöner Traum war. Dann schlug ihm jemand hart auf den Kopf, und das war kein Traum. Sharpe zuckte zur Seite, griff nach seinem Gewehr und wurde erneut geschlagen. »Frecher Hundesohn!«, kreischte eine Stimme, und wieder bekam Sharpe einen Schlag. Die Stimme gehörte einer alten Frau, älter, als Sharpe es sich hatte vorstellen können, mit braunem Gesicht wie in der Sonne getrockneter Schlamm, voller Falten und Risse, boshaft und verbittert. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, und ein schwarzer Witwenschleier steckte in ihrem weißen Haar. Sharpe stand auf und rieb sich den Kopf, wo das Weib ihn mit einer von Moons geliehenen Krücken geschlagen hatte. »Du wagst es, einen meiner Diener anzugreifen?«, schrie die Frau. »Du unverschämter Balg!«
»Ma’am«, sagte Sharpe. Etwas anderes fiel ihm nicht ein.
»Du bist in mein Bootshaus eingebrochen!«, krächzte die Frau. »Du hast meinen Diener angegriffen! In einer zivilisierten Welt würde man dich jetzt auspeitschen! Mein Gemahl hätte das getan!«
»Ihr Gemahl, Ma’am?«
»Er war der Marques de Cardenas, und er hatte das Pech, elf traurige Jahre lang Botschafter am Hof vom St. James zu sein. Wir haben in London gelebt. Eine furchtbare Stadt. Eine
Weitere Kostenlose Bücher