Sharras Exil - 17
kommt nicht darauf an«, meinte Lew, der Regis’ Gedanken las. Sein Arm schloss sich so fest um das Kind, dass es protestierend wimmerte. »Sie ist auf jeden Fall mein.«
Er sieht hässlich aus, aber er ist nett. Ich bin froh, dass er mein Vater ist …
Sie alle sahen sie erstaunt an; Marja hatte hinausgelangt und ihre Gedanken berührt. Regis dachte: Aber Kinder haben die Gabe nie …
»Thyra war zur Hälfte Chieri«, stellte Lew ruhig fest. »Offensichtlich hat Marja die Gabe. Das kommt nur selten vor, aber zuweilen eben doch. Deine Gabe erwachte früh, nicht wahr, Rafe - als du neun oder zehn warst?«
Rafe nickte. »Ich erinnere mich, wie unser … Pflegevater Lord Aldaran … uns von unserer Mutter erzählte. Sie war die Tochter eines aus dem Waldvolk. Und Thyra …« Er zögerte.
»Mach schon«, forderte Lew ihn auf. »Was es auch sein mag.«
»Du hast es nicht gewusst … Thyra … sie war … wie die Chieri … emmasca. Anfangs war sich niemand sicher, ob sie ein Junge oder ein Mädchen war. Ich erinnere mich noch an diese Zeit, aber nur undeutlich; ich war sehr klein. Dann kam Kadarin - und bald darauf begann sie weibliche Kleidung zu tragen und sich als Frau zu fühlen … von da an nannten wir sie Thyra; vorher hatte sie einen anderen Namen gehabt … Du hast nicht gewusst, dass sie so alt war wie Beltran. Sie hatte ihr zwanzigstes Jahr überschritten, als Marjorie geboren wurde.«
Lew schüttelte den Kopf. Es erschreckte ihn. Regis fing den Gedanken auf: Ich glaubte, sie sei drei oder vier Jahre älter als Marjorie, mehr nicht … und ein Durcheinander von Bildern, Bedauern und Begehren: Thyra spielte die Harfe und blickte in leidenschaftlichem Zorn zu Lew hoch, Thyras Gesicht verwandelte sich plötzlich traumartig in das Marjories … Marjorie fragte sanft: »Du warst ein bisschen verliebt in Thyra, stimmt’s, Lew?«
Lew setzte das Kind ab. »Ich muss eine Pflegerin für sie finden. In meiner Wohnung gibt es keine Frau, die sich um sie kümmern könnte.« Er beugte sich nieder und küsste die kleine, rosige Wange. »Bleib hier bei meiner Verwandten Linnell, Töchterchen.«
Marja hielt seine Hand fest und fragte zitterig: »Werde ich jetzt bei dir wohnen?«
»Ja, das wirst du«, antwortete Lew fest und winkte Rafe und Regis, mit ihm das Zimmer zu verlassen. Regis meinte warnend: »Man wird sie benutzen, um dich loszuwerden …«
»Ich bin verdammt sicher, dass man es versuchen wird«, erklärte Lew bitter. »Eine hübsche, friedliche Marionette, gehorsam in Hastur-Händen - nein, ich meine nicht dich, Regis, aber den alten Mann und Dyan und meinen geschätzten Verwandten Gabriel. Der Rat hat den erwachsenen AltonMännern nie sonderlich getraut, nicht wahr? Also verbannt er mich nach Armida oder in einen Turm und erzieht dies Mädchen in dem ihm genehmen Sinn.« Sein Gesicht wirkte angespannt, und er ballte die gute Hand so fest, dass Regis froh war, nicht der Gegenstand von Lews Zorn zu sein.
»Sollen sie es versuchen«, fuhr Lew fort, und seine Hand zuckte, als umklammere sie einen bestimmten Hals. »Sollen sie es nur versuchen, verdammt noch mal! Sie ist mein - und wenn sie glauben, sie können sie mir wieder wegnehmen, dann werden sie sich wundern!«
Regis und Rafe tauschten einen Blick, in dem sich Erleichterung und Bestürzung mischten. Regis hatte gehofft, irgendetwas werde Lew irgendwie aus seiner tödlichen Apathie reißen, in ihm neues Interesse für irgendjemanden und irgendetwas erwecken. Jetzt sah es so aus, als sei genau das geschehen. Der Wind, den sie sich gewünscht hatten, wehte - aber es mochte schreckliche Opfer kosten, bis das alles vorbei war!
Lew Altons Erzählung 10
D
er Tag neigte sich dem Abend zu. Ich blickte hinaus auf die Stadt. Schon füllten sich die Straßen mit den lachenden, maskierten, Blumen werfenden Menschenmengen der
Festnacht. Von mir wurde erwartet, dass ich für die AltonDomäne auf dem großen Ball in der Comyn-Burg erschien.
Das gehörte zu meiner Aufgabe als Lord Alton, und wenn der
Rat auch noch keinen offenen Zug gemacht hatte, um mich
von meinem Platz als Oberhaupt der Domäne zu verdrängen, so
wollte ich ihm doch keine Gelegenheit geben zu behaupten, ich
vernachlässige irgendeinen Teil meiner Pflichten. Unter
anderem musste ich jetzt dafür sorgen, dass Marja in die richtige
Obhut kam. Andres würde sie mit seinem Leben schützen, sobald
er erfuhr, dass sie meine Tochter war, aber ein Mädchen in
diesem Alter braucht eine Frau, die sich um sie
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