Sharras Exil - 17
nicht mehr lange genug leben sollte. Ich hatte das zarte Leben gespürt, wie ich jetzt den neuen, wachsenden Lebenssamen in Dio spürte, und es grauste mir in tiefer Seele davor, ihn auszulöschen. Vielleicht stellte ich mich nur an. Aber in meiner Selbstsucht wollte ich, dass dieses Kind lebte.
Ich sagte: »Ich will es, und ich will es nicht. Du bist es, die das Kind tragen muss, du musst die Entscheidung treffen. Wie sie auch ausfallen wird, ich will versuchen, glücklich darüber zu sein.«
Lange Zeit sah sie dem wechselnden Spiel der Lichter in der Stadt unter uns zu. Endlich meinte sie: »Es wird mein Leben auf eine Art ändern, die ich mir nicht einmal vorzustellen vermag. Ich fürchte mich ein bisschen davor, mich so sehr zu verändern. Dich will ich, Lew, nicht dein Kind.« Sie legte ihren Kopf an meine Schulter. Ich spürte, dass sie ebenso unentschlossen war wie ich. »Gleichzeitig ist es etwas, das … das aus unserer Liebe entsprungen ist. Ich kann nicht umhin, mir zu wünschen …« Sie unterbrach sich und legte ihre Hand wie schützend über ihren Bauch. »Ich liebe dich, Lew, und ich liebe dein Kind, weil es deins ist. Und das ist etwas, das anders und stärker als einer von uns beiden sein könnte, und doch Teil dessen, was wir gemeinsam haben. Ergibt das Sinn für dich?«
Ich streichelte ihr Haar. In diesem Augenblick schien sie mir unendlich kostbar zu sein, noch mehr, als sie vorher schon gewesen war, vielleicht mehr, als sie jemals wieder sein würde.
»Ich habe Angst, Lew. Es ist zu groß. Ich glaube nicht, dass ich das Recht habe, etwas so Großes zu entscheiden. Vielleicht wurde die Entscheidung von etwas getroffen, das außerhalb von uns ist. Ich habe nie viel über Gott oder die Götter oder was es geben mag nachgedacht. Das Gefühl weicht nicht von mir, dass etwas Schreckliches auf uns wartet, und ich möchte nicht eine Minute von dem Glück verlieren, das wir zusammen haben können.« Wieder die kleine Geste: Sie hielt die Hand über ihren Leib, als wolle sie das Kind dort schützen. Mit ängstlichem Flüstern gestand sie: »Ich bin eine Ridenow. Es ist kein Ding, Lew, es lebt, ich fühle sein Leben - oh, es bewegt sich nicht, das wird noch Monate dauern, aber ich spüre es. Es lebt, und ich glaube, es möchte leben. Doch ganz gleich, was es selbst möchte, ich möchte, dass es lebt - ich möchte sein Leben spüren. Ich fürchte mich vor den Veränderungen, die es mit sich bringen wird, aber ich möchte es haben, Lew. Ich will dieses Kind.«
Ich legte meine Hand auf ihre, versuchte - vielleicht war es nur meine Phantasie - das Leben zu erspüren. Ich erinnerte mich an den abgrundtiefen, unauslotbaren Schmerz, als ich erfuhr, Marjorie werde nicht am Leben bleiben, um mir ihr Kind zu gebären. War es nur die Erinnerung an jenen Schmerz, oder erkannte ich tatsächlich, dass schwereres Leid auf uns wartete?
In diesem Augenblick muss es gewesen sein, dass ich Marjories Tod akzeptierte, dass ich erkannte, in dieser und in der nächsten Welt würde es keine Wiedervereinigung zwischen uns geben. Aber unter meiner und Dios Hand war Leben, eine Wiederkehr der Hoffnung, etwas, das in die Zukunft wies. Wir lebten nun nicht mehr von Tag zu Tag, erhaschten Freuden, die allein unsere waren, sondern das Leben ging weiter. Ich küsste sie auf Stirn und Lippen, und dann beugte ich mich vor, um ihren Leib zu küssen.
»Was auch daraus entstehen mag«, sagte ich, »ich will das Kind ebenfalls, Preciosa. Ich danke dir.«
Mein Vater war natürlich begeistert, aber auch beunruhigt, und er wollte mir nicht sagen, warum. Und jetzt, da wir nicht mehr so eng miteinander verbunden waren, konnte er seine Gedanken vor mir abschirmen. Anfangs blühte Dio auf. Es ging ihr gut, und sie war ganz frei von den kleinen Beschwerden, die manche Frauen während der Schwangerschaft haben. Sie sagte, sie habe sich nie glücklicher oder gesünder gefühlt. Ich beobachtete die Veränderungen in ihrem Körper mit Freude und Entzücken. Es war eine köstliche Zeit. Wir beide warteten auf die Geburt des Kindes und begannen sogar, über die Möglichkeit
- die ich zuvor nie hatte ins Auge fassen wollen - zu sprechen, dass wir eines Tages zusammen nach Darkover zurückkehren und mit unserm Sohn oder unserer Tochter auf unserer Heimatwelt leben würden.
Sohn oder Tochter. Es machte mich nervös, dass ich nicht wusste, was von beiden es sein würde. Dio hatte nicht viel Laran und war nicht darin ausgebildet worden, das bisschen, das
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