Sharras Exil
verbeugte sich vor einer ältlichen Witwe, einer entfernten Verwandten Callinas, und sie schritten hinein in den gemessenen Reigen.
»Regis«, fragte Linnell fröhlich, »willst du heute wieder jede unverheiratete Frau in den Domänen enttäuschen?«
»Besser, ich enttäusche sie jetzt als später, Verwandte«, gab Regis lächelnd zurück. »Und ich stelle fest, dass du nicht tanzt – wo steckt unser königlicher Cousin?«
»Er ist krank – irgendwer hat ihm von einem Punsch gegeben, in dem mehr steckte, als Derik wusste«, antwortete Linnell, »und Merryl hat ihn weggebracht. So habe ich nun weder einen Verwandten noch einen Liebhaber, der mit mir tanzen könnte – es sei denn, du möchtest tanzen, Lew? Du bist eher mein Bruder, als Merryl es je gewesen ist«, setzte sie mit einer Spur Verärgerung hinzu.
»Verzeih mir, Linnell, ich möchte lieber nicht«, bat ich. Ob ich immer noch ein bisschen betrunken war? Mir war nicht gut, mein Magen rebellierte. War das nur das übliche Unbehagen eines Telepathen, wenn er zu eng von Menschenmassen umgeben ist?
»Sieh mal, sogar Dyan tanzt mit der Witwe des alten Waffenmeisters«, sagte Linnell, »und Dio mit Lerrys – ist er nicht ein großartiger Tänzer?« Ich folgte ihrem Blick. Bruder und Schwester tanzten in so enger Umarmung, dass sie hätten Liebende sein können, und am liebsten wäre ich wütend auf die Tanzfläche gestürmt und hätte Lerrys daran erinnert, dass Dio mein war … Aber ich war unfähig, mich zu bewegen. Wenn ich versuchte zu tanzen, würde ich bestimmt hinfallen, und doch hatte ich nur ganz wenig von diesem mit Alkohol versetzten Fruchtgetränk gehabt.
Regis verbeugte sich vor Linnell. »Ich werde mit dir als Deriks Stellvertreter tanzen, Cousine, wenn es dir recht ist. Anscheinend bin ich Deriks Erbe – möge seine Regierung lange währen«, setzte er mit schiefem Lächeln hinzu.
»Nein, ich möchte lieber nicht«, sagte sie, eine Hand auf seinem Arm, »aber du könntest für diesen Tanz hier bleiben und mit mir plaudern … Lew, kennst du den Mann da in dem Harlekin-Kostüm? Wer ist die Frau, die er bei sich hat?«
Zuerst sah ich den Harlekin, der mir schon aufgefallen war, nicht, dann entdeckte ich ihn. Seine Partnerin war eine hoch gewachsene Frau mit dunkelkupfernem Haar, wundervollen dicken Locken, die ihr bis zur Mitte des Rückens fielen. Ihr Tanz führte sie jetzt auf mich zu und plötzlich – obwohl die Frau maskiert war – erkannte ich sie, erkannte ich beide, auch ihn hinter der scheußlichen Harlekin-Maske.
Thyra! Keine Maske hätte sie vor mir verbergen können … die Matrix an meiner Kehle brannte mit Sharras Feuer. Ich stand entsetzt, erstarrt, betrachtete meinen geschworenen Feind und fragte mich verzweifelt, was Kadarin hergebracht hatte, hierher ins Herz Thendaras, während ein Preis auf seinen Kopf gesetzt war und sowohl die Terraner als auch die Comyn ihn zum Tode verurteilt hatten! Ich fasste den Dolch an meinem Gürtel mit meiner guten Hand, ich wünschte, ich hätte die mir hinderliche künstliche Hand nicht angelegt. Kadarin und Thyra tanzten tollkühn zusammen auf dem Maskenball der Comyn!
Aber jetzt, nach Beendigung des Tanzes, war Demaskierung. Ich riss mir meine Larve mit der mechanischen Hand ab; die gute lag fest auf dem Dolch. Glaubte er, ich würde ihn nicht angreifen, weil wir uns inmitten eines Ballsaals befanden?
Und jetzt sah ich, dass auch Regis ihn erkannt hatte. Ich tat einen einzigen Schritt nach vorn; Regis hielt mich entschlossen am Arm zurück.
»Ruhig, Lew«, murmelte er. »Er will, dass du das tust, dass du ihn angreifst, ohne nachzudenken …«
Die brennende Matrix an meiner Kehle wurde plötzlich lebendig, und in meinen Gedanken zischelte eine Stimme:
… ich bin hier! Ich bin hier … all dein Zorn, all die Wut unerfüllter Lust, lass sie sich gegen sie wenden, um mir zu dienen, dass ich brenne, brenne …
Sharra! Die Stimme Sharras flüsterte wie ein fanatischer Geist in meinem Gehirn, alles, was sich an Frustration in mir angehäuft hatte, wollte hochspringen, um mich zu betrügen … Thyras Augen brannten in meinen, die rote Flamme ihres Haars schien um sie hochzulodern! Und plötzlich war Thyra von Feuer umgeben, sie wurde größer und größer, sie wuchs bis in die Kuppel der Halle über uns hinaus, während Kadarins lange, schlanke Hand, die Hand eines Chieri , das Schwert aus der Scheide riss und hob, das Schwert …
Es rief mich. Ich hatte es unfreiwillig durch die halbe
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