Sheila Levine ist tot und lebt in New York (German Edition)
Jahr davor alles viel besser gewesen. Um diese Zeit, am dritten Juliwochenende also, war schon alles voll in Gang gekommen. Die Leute sprangen nackt ins Wasser. Spielten nackt Volleyball.
Tatsächlich, das hat es also gegeben, Nacktschwimmen, Nackt-Volleyball? Wo ich kaum nackt unter die Dusche ging. Die nackte Wahrheit ist nämlich: Nur Leute mit einem Superkörper bedauerten, dass es keine Po-Paraden gab.
Alle vermissten jedoch die Volleyballspiele (bekleidet oder unbekleidet). Warum? Weil Volleyball eine typisch jüdische Sportart ist, Spaß macht und ungefährlich ist.
Die Neuen fragten also die vom letzten Jahr, warum es damals so toll war und jetzt so langweilig. Die Erklärung war einfach. Letztes Jahr waren einfach bessere Leute da gewesen. Die Neuen fand das nicht sehr schmeichelhaft. Eine Minute lang herrschte betretenes Schweigen, dann rollte ein Mädchen seinen Badeanzug bis zum Nabel herunter, damit die Träger keine weiße Spuren auf seiner Haut hinterlassen konnten. Damit schien das Eis gebrochen. Wir fragten uns wieder: »Kennst du?« Und am Ende des Tages wusste ich immer noch nicht, warum das Römische Reich untergegangen war. Als wir unsere Sachen zusammenpackten, lud uns die Stripperin (ich hatte den ganzen Nachmittag weggeschaut) auf eine Sangria ein. So gegen sechs.
Agatha und ich gingen zurück zu »Papa’s Getaway« und zogen uns um. Wir gaben uns viel Mühe, so lässig wie möglich auszusehen. Linda und Mark schlossen sich uns an. Linda war nahtlos gebräunt. Ich hatte einen Sonnenbrand. Linda sah in ihren ausgebleichten Jeans einfach toll aus – meine Jeans waren einfach nur zu eng.
Wir besuchten zwei andere Ferienhäuser und stopften uns mit Chips und Avocado Dips voll, zehn von uns trafen sich danach in der Flynn’s Hotel-Restaurant-Bar wieder und tranken Coke und Bier, immer noch damit beschäftigt, gemeinsame Freunde ausfindig zu machen.
Das war Fire Island: tagsüber am Strand zusammenglucken, nachts um die Häuser ziehen. Überall tauchten neue, fremde Gesichter auf, manchmal auch neben einem auf dem Kopfkissen.
An meinem fünften Wochenende auf der Insel hat sich tatsächlich jemand in mich verliebt. Jemand, der mich ganz toll fand und eine Beziehung mit mir haben wollte. Eine nicht ganz unbekannte Person … Agatha Horowitz.
»Mom, das ist Agatha Horowitz. Wir haben uns verliebt.«
»Manny, wie kann das sein? Von Jungs hab ich das schon gehört. Soll ja öfters passieren. Aber Mädchen?«
Um das klarzustellen – ich fand lesbische Beziehungen eher abstoßend. Ich hatte keine lesbische Neigungen und deshalb auch keine Lust. Das letzte Mal, als ich mit einem Mädchen Händchen hielt, war ich in der Grundschule. Gewöhnlich bin ich mit Ruthie Hand in Hand spazieren gegangen, aber das tun alle kleinen Mädchen, und Sheila Levine war inzwischen über das Alter hinaus. Die Frage war also, wie sag ich’s Agatha. Sie ging äußerst vorsichtig vor, und ich hatte keine Ahnung, auf was sie rauswollte und wie sie gepolt war. Ich war nett und muss tausend Dinge gesagt haben, die sie falsch interpretierte.
»Sheila?«
»Ja, Agatha?«
»Was hältst du von mir?« (Ich dachte, sie habe Minderwertigkeitskomplexe oder so was und brauchte Bestätigung.)
»Ich finde dich ausgesprochen nett.« (War doch in Ordnung? Kann man doch jedem sagen, jedem, außer einer Lesbe.) Pop, erklär Mom, was eine Lesbe ist.
»Einfach nur nett?«
»Ausgesprochen nett. Du bist eine tolle Frau, Agatha. Ich meine, nett, freundlich, angenehm, ordentlich.« (Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, was dieser Sheila-Fan im Schilde führte.)
»Ich finde dich auch toll.«
Etwas später an jenem Abend zogen wir uns für eine dieser »Um Sechs«-Verabredungen um.
»Sheila?« (War da ein kleines Zwinkern?)
»Ja, Agatha?«
»Willst du wirklich heute Abend da hin? Ich dachte, vielleicht könnten wir beide auch hierbleiben und uns etwas unterhalten und, du weißt schon.« (Nein, wusste ich nicht.)
»Ich würde ganz gerne gehen. Wir können uns auch danach unterhalten.«
»Okay, ich komm mit.«
Mir lag wirklich etwas daran, die Party sollte nämlich in einem sehr schicken Haus stattfinden. Wie bei den Häusern der Studenten- und Studentinnenverbindungen gab es auch auf Fire Island gute und schlechte Häuser. Außerdem war ich grundsätzlich nicht gewillt, Bekanntschaften aufzugeben. Schließlich wusste man nie, ob sich unter ihnen nicht der für einen bestimmte Wassermann befand.
Dort wich mir dann
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