Sheila Levine ist tot und lebt in New York (German Edition)
Ohrbach’s, halb Sak’s.
»Mir gefällt dein Aufzug.«
»Rock mit Bluse.«
»Sehr schön!«
»Damit könnte ich mich auch begraben lassen.«
»Nein.«
»Was meinst du mit nein?« (Nein, soll das heißen, stirb nicht?)
»Du solltest dich nackt in den Sarg legen, und der Deckel sollte auf sein.«
»Machst du dich lustig über mich?«
»Nein, mach ich nicht, Sheila. Du findest deinen Körper vielleicht nicht toll, ich schon, mich törnt er total an.« (Wir haben also schnell noch eine Nummer geschoben, bevor wir aus dem Haus gingen, war doch kein Verbrechen?)
»Sheila, schließlich soll dein letztes Silvester auch dein bestes sein.« Und das war es auch – zum größten Teil.
Wir rauchten eine Tüte und gingen zum Times Square. (Nein, es war nicht meine erste. Ich bin eine Frau von Welt, die schon diverse Male Marihuana und Haschisch geraucht hat. Das erste Mal auf Fire Island.)
Eine riesige Menschenmenge. Millionen, Billionen von Menschen. Mein Gott, diese geballte Hässlichkeit. Menschen, die nie zum Zahnarzt gingen. Überwältigend viel Lärm und Gerüche. Harold zog mich an sich und quetschte mir das Mieder in die Rippen. Einmal muss man das mitmachen. Ich fand es zwar grässlich, bereute es aber nicht. Ich hatte den Eindruck, zu den Hübschesten zu gehören, ja, zumindest das Mädchen mit den hübschesten Zähnen vom Times Square zu sein. Wir sind nicht bis Mitternacht geblieben, wir hatten einen kurzen Auftritt, sagten Hallo und verschwanden wieder. Eine wirre, irre Sache.
Harold hatte zwei Partys in petto – auf die eine musste er, auf die andere wollte er. Erstere brachten wir so schnell wie möglich hinter uns. Der Gastgeber war Harolds Cousin, und die Party fand in einer alten, schlecht eingerichteten Wohnung an der West End Avenue statt. Anwesend waren ein paar verwitwete Tanten und – Überraschung – Harolds Ex.
»Hallo, Harold.«
»Hallo, Frannie, wie geht’s dir?«
»Liegt dir wohl sehr am Herzen.«
»Wieso sollte es mir nicht am Herzen liegen?«
»Die Kinder kamen letztes Wochenende vollkommen verdreckt zurück.«
»Sie hatten Spaß. Bestimmt war das Wochenende mit ihrem Schmutzfink von Vater lustiger für sie als die ganze Woche mit ihrer pingeligen Mutter.«
»Harold, wie er leibt und lebt.«
»Frannie, wie sie leibt und lebt.«
»Sehr witzig, Harold, ich werde dich demnächst wegen unterlassener Unterhaltszahlungen hinter Schloss und Riegel bringen.«
»Ich zahle die Alimente.«
»Du zahlst für die Kinder. Aber was ist mit mir? Wie weit komme ich mit zweiundfünfzig fünfzig in der Woche? Ich musste mir einen Halbtagsjob suchen, den kann ich machen, wenn die Kinder in der Schule sind.«
»Ach, die arme Frannie muss arbeiten.«
»Du wirst schon sehen, und das sehr bald, Harold. Demnächst wird dir eine Vorladung zugehen.«
»Es war wie immer nett, dich wiederzusehen, Frannie. Du bestärkst mich in dem Glauben an die Scheidung.«
»Scher dich zum Teufel.«
»Fick dich – wer soll’s dir auch sonst besorgen.«
Viele Leute haben mir gesagt, dass ich mir mit dem Heiraten ruhig Zeit lassen könnte – dass es bald viel Nachschub an geschiedenen Männern geben würde. Ich will aber nicht die Zweite sein, ich will die Erste sein – die er verlässt, weil sie nicht putzt und immer Theater macht.
Um halb zwölf verabschiedeten wir uns von Marty und rasten zu Marsha und David, auch ein nettes junges Pärchen, das sich einfach nur zusammengetan hat, weil er vom Heiraten nichts hält. Harold hat sich mit David im Welfare Department angefreundet, und Marsha kannte ich flüchtig von der NYU.
Was ist das Schlimmste, das passieren kann, wenn es an Silvester zwölf Uhr schlägt? Absolut schlimm ist, allein zu sein. Beinahe genauso schlimm ist, in der Subway zu sein. Niemand merkt, dass das neue Jahr bereits eingeläutet ist. Ein paar Pärchen küssen sich, aber sie hatten schon mit dem Küssen angefangen, als sie zustiegen. Ein paar Leute sind allein. Der Geruch nach Erbrochenem liegt in der Luft. Am schlimmsten sind diejenigen dran, die um Mitternacht von der Arbeit kommen. Es sind die Mitglieder unserer Gesellschaft, die es sich nicht aussuchen können … entweder sie arbeiten an Silvester, oder sie verlieren ihren Job. Mein Gott, ist das nicht traurig?
Um zwölf Uhr nahm Harold einfach meine Hand. Diese Geste ließ das Küssen banal erscheinen.
Bei Marsha und David: Marsha und David wohnten in der West Fifty-seventh zwischen der Sechsten und Siebten in einer
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