Sherlock Holmes Bisher unbekannte Fälle Sammelband 1
haben und wären Sie nicht gewesen, mein Bester, ...“
Er holte tief Luft und paffte dichte graue Wolken. „Seltsam, dass wir beide so ähnliche Erlebnisse hatten und noch seltsamer, dass wir beide erst so gleich, doch heute so unterschiedlich reagiert haben. Die Natur des Menschen ist unergründlich.“
Ich nickte. Jetzt ergab sein zurückhaltendes Verhalten im Schuppen Sinn. Mich hatte mein Erlebnis stark gemacht und handeln lassen, ihn hatte sein Erlebnis blockiert.
Wir schwiegen eine Weile und schauten versonnen in die Flammen des Kamins, die, in ihrem steinernen Gefängnis gefangen und gebändigt, die Holzkloben verzehrten, ohne uns gefährlich werden zu können. So nahe wie heute hatte ich mich Holmes noch nie gefühlt. Wir waren zwar befreundet, aber es gab immer eine gewisse Distanz, die nie unterschritten wurde. Sei es beim „Sie“ der Anrede oder bei Einzelheiten, die das frühere Leben betrafen. Und gefühlsmäßig war Holmes nicht mit Überschwang gezeichnet, ihn beherrschte die analytische Logik.
Vielleicht würde sich unser Verhältnis von nun an ändern und uns einander näherkommen lassen, vielleicht würde aber auch ab morgen alles wieder wie vorher sein.
„Ich habe mit Lestrade einen Plan vereinbart“, riss mich Holmes aus den Gedanken. Er sprach, als sei nichts gewesen, und mir blieb nichts anderes übrig, als das Spiel mitzumachen.
„Hören Sie zu, Watson. Wir werden morgen den Tag außer Haus verbringen und durch London spazieren, hier etwas kaufen, dort etwas anschauen und den Eindruck erwecken, einen Ruhetag einzulegen. In Wirklichkeit spielen wir den Lockvogel und versuchen, den mordlüsternen Gegner anzulocken. Keine Sorge, wir werden die ganze Zeit unter Polizeibeobachtung stehen und es kann nichts passieren. Wenn unser Mister Unbekannt mir ans Leder will, schnappt die Falle zu und er wird dingfest gemacht.“
„Hm, und wenn er aus der Ferne auf Sie schießt, wie schon einmal?“
„Es ist für alles vorgesorgt, Watson, machen Sie sich keine Gedanken. Außerdem bringt mir morgen in aller Frühe ein Bote eine schusssichere Weste der Polizei vorbei. Eine neuartige Erfindung, die Kugeln kleinen und mittleren Kalibers aufhalten soll und unsichtbar unter der Kleidung getragen werden kann.“
„Oh, das klingt nach einer überaus nützlichen Erfindung, davon habe ich noch nie gehört. Ich werde meinen Revolver mitnehmen und zusätzlich auf Sie aufpassen. Von mir will der Unbekannte ja eigentlich nichts, wie er sagte, also dürfte ich relativ sicher sein. Trotzdem halte ich den Plan für ungemein gefährlich, Holmes! Sollen wir das wirklich tun? Gibt es keinen anderen Weg, den Kerl zu erwischen? Aber sagen Sie, was haben Sie denn nun im Polizeiarchiv herausgefunden?“
„Mein lieber Watson, das werden Sie noch früh genug erfahren, wahrscheinlich schon morgen, wenn wir den Fall erfolgreich abschließen.
Schenken Sie uns noch einen Schluck Whiskey ein, mein Lieber, und lassen Sie uns auf einen guten Ausgang des Falles trinken. Dann sollten wir zu Bett gehen, es war ein langer und anstrengender Tag.“
Am nächsten Morgen verschlangen wir hastig das Frühstück, dann holte ich meinen Revolver hervor, reinigte und lud ihn, während Holmes sich die Schutzweste anlegte, die ein junger Mann gebracht hatte. Sie war in der Tat unter seinem Wams nicht zu erkennen und ich hoffte inständig, dass sie ihre Funktion voll und ganz erfüllte, wenn sie zum Einsatz kam.
Wir sprachen nicht viel, aber jeder spürte die Nervosität des anderen. Bei Mrs. Hudson meldeten wir uns nur für einen langen Spazier- und Einkaufsgang ab, wir sagten ihr, wir brauchten einen Tag zum Ausruhen. Sie wünschte uns einen angenehmen Ruhetag und gute Erholung. Die Gute ahnte nicht im Geringsten, was wir vorhatten. Dann machten wir uns auf den Weg.
Von der Bakerstreet schlenderten wir zur Oxfordstreet, schauten bei einem Seilmacher in den Laden, plauderten ein wenig mit dem Besitzer und gingen weiter. Ich war angespannt und hielt jeden männlichen Passanten, der uns entgegen kam, für den Meuchelmörder. Meine Hand umkrampfte in der Manteltasche den Revolver und war schweißnass.
Holmes stieß mich an. „Nun ziehen Sie nicht so ein verkniffenes Gesicht, Watson, und entspannen Sie sich! Ihnen kann ja jeder ansehen, dass Sie darauf warten, dass etwas Schlimmes passiert.“
Ich musste ihm recht geben und versuchte, unbefangen auszusehen. In einem Hauseingang glaubte ich, einen von Holmes‘ Straßenjungen
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