Sherlock Holmes - Das Tal der Furcht
Händen«, stöhnte er.
»Selbstverteidigung ist kein Mord«, sagte McMurdo und lächelte grimmig. »Er oder wir. Dieser Mann würde uns vernichten, wenn wir ihn zu lange im Tal ließen. Ja, Bruder Morris, wir sollten Sie zum Logenmeister wählen, denn Sie haben der Loge einen großen Dienst erwiesen.«
Und doch bewies er durch seine Handlungsweise, daß er die neue Störung ernster nahm, als er durch Worte zeigte. Vielleicht lag es an seinem schuldigen Gewissen, vielleicht war es der Ruf der Pinkerton-Organisation oder vielleicht auch nur die Tatsache, daß große, reiche Unternehmen es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Scowrer auszurotten — was immer auch der Grund war, seine Handlungsweise war die eines Mannes, der sich auf das Schlimmste gefaßt macht. Jedes Stück Papier, das ihn verraten konnte, wurde vernichtet, bevor er das Haus verließ. Danach seufzte er befriedigt auf, denn er fühlte sich jetzt sicherer. Und doch schien die drohende Gefahr ihn immer noch zu bedrücken, denn auf seinem Weg zur Loge hielt er am Haus des alten Shafter an. Das Haus war ihm zwar verboten, aber als er ans Fenster klopfte, kam Ettie zu ihm hinaus. Kein irischer Kobold tanzte mehr in den Augen ihres Liebsten. In seinem ernsten Gesicht las sie Gefahr.
»Es ist etwas passiert!« rief sie. »O Jack, du bist in Gefahr!«
»Es ist nicht so schlimm, mein Schatz. Und doch ist es wohl ganz weise, wenn wir uns gut vorbereiten.«
»Uns vorbereiten?«
»Ich habe dir versprochen, daß ich eines Tages von hier fortgehen würde. Ich glaube, die Zeit ist jetzt da.
Ich habe heute abend schlechte Nachrichten erhalten. Es kommen Schwierigkeiten auf uns zu.«
»Die Polizei?«
»Nun, ein Pinkerton. Aber sicherlich weißt du weder, was das ist, Acushla, noch was das für mich
bedeuten kann. Ich stecke tief in dieser Sache drin, und möglicherweise muß ich einmal schnell weg. Du sagtest, daß du mit mir gehen würdest, wenn ich ginge.«
»O Jack, es wäre deine Rettung!«
»In gewissen Dingen bin ich ein ehrlicher Mensch, Ettie. Ich möchte dir kein Haar auf deinem hübschen Kopf gekrümmt sehen, nicht um alles in der Welt, auch möchte ich dich keinen Zentimeter von deinem goldenen Thron über den Wolken herunterziehen, auf dem ich dich ständig sehe. Willst du mir
vertrauen?«
Ohne ein Wort zu sagen, legte sie ihre Hand in die seine.
»Gut, höre, was ich dir zu sagen habe, und tue bitte, was ich anordne, denn das ist tatsächlich die einzige Möglichkeit für uns. Es wird in diesen Tagen einiges passieren, das fühle ich in allen Gliedern. Da wird mancher von uns für sich selber sorgen müssen. Ich bin jedenfalls einer davon. Wenn ich gehe, ob bei Tag oder bei Nacht, mußt du mitkommen!«
»Ich würde dir folgen, Jack!«
»Nein, nein, du mußt mit mir kommen. Wenn dieses Tal sich hinter mir schließt, dann kann ich niemals zurückkehren. Wie könnte ich dich also zurücklassen, während ich mich vor der Polizei verstecke, ohne eine Möglichkeit, dich zu benachrichtigen? Du mußt ganz einfach mit mir kommen. Ich kenne eine gute Frau in dem Ort, wo ich herkomme. Bei der will ich dich lassen, bis wir heiraten können. Wirst du mitkommen?«
»Ja, Jack, ich werde mitkommen.«
»Gott segne dich dafür, daß du mir vertraust. Der Teufel soll mich holen, wenn ich dich je enttäuschen sollte. Nun paß auf, Ettie: Wenn es soweit ist, bekommst du eine kurze Nachricht, und du mußt alles stehen- und liegenlassen und sofort zum Bahnhof gehen und im Warteraum bleiben, bis ich komme.«
»Tag oder Nacht, ich komme auf dein Wort, Jack.«
Mit etwas leichterem Herzen, weil er seine Flucht nun eingeleitet hatte, ging McMurdo zur Loge. Sie hatten sich schon versammelt und durch komplizierte Zeichen und Gegenzeichen gelangte er durch die äußere und innere Wache. Ein beifälliges Gemurmel begrüßte ihn, als er eintrat. Der lange Raum war überfüllt, und durch die Wolken von Tabakrauch sah er die unordentliche schwarze Mähne des
Logenmeisters, die grausame, bedrohliche Gestalt von Baldwin, das Geiergesicht von Harraway, dem
Sekretär, und ein Dutzend mehr, die die Führer der Loge waren. Er freute sich innerlich, daß sie alle da waren, um über seine Nachricht zu beraten.
»Ich bin wirklich froh, daß du da bist, Bruder!« rief der Vorsitzende. »Wir haben gerade eine
Angelegenheit, die das Urteil eines Salomon erfordert.«
»Es geht um Lander und Egan«, erklärte sein Nachbar, als er Platz nahm. »Sie beanspruchen beide das
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