Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel
zögerte kurz und ließ seine Finger gedankenverloren über den polierten Lauf des absonderlichen Gewehres wandern. „Manche Dinge sind so gefährlich, dass ich sie nicht einmal in Mycrofts Händen wissen möchte, Watson“, antwortete er schließlich. „Was halten Sie von einer frischen Brise Londoner Winterluft, alter Knabe?“
Wir verließen den Spielzeugladen und standen geschwärzt, zerkratzt, zerschnitten und zerschlagen vor der Ladentür, begrüßt nur vom leisen Heulen des eisigen Windes, der uns anstelle kleiner Klingen in die Wangen schnitt.
Da ertönte in der Stille des Winterabends ein vertrautes Läuten.
Aus Gewohnheit hob ich den Kopf und blickte in die Richtung, wo ich um das Antlitz des großen Uhrturms neben dem Parlament wusste, der die übrigen Gebäude der Stadt wie ein Monument überragte.
Wie viele Menschen mochten nun wohl gerade dieses vertraute Läuten hören, ohne von der Episode hier auch nur die leiseste Ahnung zu haben? Ohne zu wissen, dass es ohne unser Eingreifen vielleicht nur noch wenige Tage gedauert hätte, ehe der Alte den Golem mit seinem persönlichen Uhrwerk des Todes zum Leben erweckt und Angst und Schrecken über unsere schöne Stadt gebracht hätte?
Aber das zählte nicht. Was zählte, war, dass wir wieder einmal ein Übel vom Empire abgewandt hatten, das diesem und unserer geliebten Königin hätte gefährlich werden können.
Und auch wenn ich die Buchstaben von hier aus nicht erkennen konnte, wusste ich doch, dass Sherlock Holmes und ich der Inschrift unter den vier Ziffernblättern von Big Ben wieder einmal zu Wahrheit und Gültigkeit verholfen hatten.
Gott schütze unsere Königin Victoria die Erste.
Andrä Martyna
www.andrae-martyna.de
Andrä Martyna wurde am 19.07.1958 in Hannover geboren und lebt heute mit seiner Familie in der Rattenfängerstadt Hameln.
Schon früh begann er sich mit Fantasy und Science Fiction zu befassen. Das Interesse für Naturwissenschaften, Grenzwissenschaften und Geschichte kam schnell dazu.
Andrä Martyna arbeitete 34 Jahre lang hauptberuflich als Fototechniker. In seiner Jugend verfasste er Kurzgeschichten und Hörspiele, die er auch selbst produzierte.
Neben seinen Projekten als Grafiker, verfasste er jüngst auch Kurzgeschichten für Anthologien und hat als Co-Autor u.a. in der Serie Titan-Sternenabenteuer (Blitz) mit-geschrieben.
Jüngst war er mit einer Story in der Hardcover-Anthologie Advocatus Diaboli (Hrsg.
Alisha Bionda, Edition Roter Drache) vertreten.
Im Oktober 2011 erscheint sein SF-Episodenroman Equinox bei p.machinery.
DIE KREATUR VON EASTCHURCH
Andrä Martyna
Die Gaslaternen verbreiteten ein dämmeriges, mystisches Licht in der Baker Street. Die dunkle Gestalt in dem langen, vom Nieselregen längst durchweichten Lodenmantel duckte sich, jedes Mal wenn klappernd eine Kutsche vorbeifuhr, tief in den Hauseingang gegenüber der Hausnummer 221b. Der vor Nässe zitternde Mann wartete geduldig.
Endlich öffnete sich die Haustür. Eine leicht schwankende Gestalt trat ins Freie und drehte sich noch einmal um. Sie schien mit jemanden zu sprechen, der im dunklen Eingang jedoch nicht zu erkennen war.
Dann hob die Gestalt die Hand zum Abschiedsgruß und trottete die Straße hinunter, während sie den Mantelkragen hochschlug.
Der wartende Mann schaute dem offensichtlich leicht angetrunkenen Dr. Watson noch eine Weile hinterher. Es wurde Zeit für seinen Besuch. Das Schloss war für ihn kein besonderes Hindernis. Mit dem richtigen Werkzeug und ein wenig Übung konnte es jeder knacken.
Als er den im Dunkel liegenden Flur betrat, schlug ihm wohlige Wärme entgegen. Das wenige Licht reichte aus, um die nach oben führende Treppe zu erkennen. Dort oben, so wusste der Mann, lag sein Ziel. Mit großer Wahrscheinlichkeit in seinem rot-goldenen Abendrock gehüllt, seine Meerschaumpfeife schmauchend und in einem alten Buch blätternd – Sherlock Holmes. Ohne jedes Geräusch huschte der Mann hinauf. Unter der Tür, gleich links neben der Treppe, schimmerte gelbes Licht. Kein Geräusch war zu hören. Vorsichtig umschloss die Hand des Mannes den Türknauf. Bis hierher war es einfach gewesen, fast zu einfach. Langsam drehte er den Knauf, als hinter ihm eine wohlbekannte Stimme ertönte.
„Lange Zeit ist vergangen, mein lieber Mr Tibbs, seit unserem letzten Treffen. Um ehrlich zu sein, meinethalben hätten ruhig noch weitere fünfzehn Jahre verstreichen können.“ Holmes’ Stimme klang ruhig und nicht
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