Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel
der Mode gekommen, und er trug sie trotz der Sommerhitze geschlossen. Die Knöpfe spannten ein wenig – ebenfalls ein Zeichen, dass der Anzug zu einer Zeit gefertigt worden war, da der Mann noch nicht zur vollen Breite herangereift war. Ich habe einen Blick für so etwas, seit meine Frau meine Anzüge wohltätigen Zwecken gestiftet hat.
„Du bist herausgewachsen, James“, hatte sie gemeint und mir neckisch den Zeigefinger in mein embonpoint gebohrt. Danach hatte ich mir eine neue Garderobe anmessen lassen müssen.
„Man muss sich ja sonst schämen mit dir“, hatte sie gemeint.
Die von dem allgegenwärtigen grauen Staub der griechischen Straßen bedeckten Stiefel unseres Besuchers waren ebenfalls nicht mehr à la mode. Seine Kopfbedeckung nahm der Mann beim Eintreten mit der rechten Hand ab. Schweißperlen bedeckten seine Stirn, und die kurz geschorenen roten Haare glänzten ebenfalls vor Schweiß.
Seine Kopfbedeckung war von der Art, die die Deutschen heute
„Prinz-Heinrich-Mütze“ nennen, so eine Art ziviler Kapitänsmütze.
Das Seltsamste aber war eine Geste des Mannes. Er hauchte sich in die linke Hand und roch daran. Nanu? Fürchtete er Halitose? Mundgeruch?
„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Herr ... Kapitän“, begrüßte ihn Holmes. „Ich denke, diesen Rang bekleiden Sie. Mein Freund und Kollege Doktor Watson und ich haben keinerlei Bedenken in Bezug auf Ihre Nüchternheit und werden Ihr offensichtlich außergewöhnliches Problem so ernst nehmen, wie es ernst genommen zu werden verdient, selbstverständlich mit der allergrößten Diskretion.“
„Ja, aber ...“
„Nehmen Sie doch bitte erst einmal Platz.“ Holmes bot ihm unseren Korbsessel an und ließ sich selbst auf einem niedrigen Bücherstapel nieder. Ich als Rekonvaleszent nahm die zweitbeste Sitzgelegenheit, den Hocker. Der Besucher ließ sich vorsichtig auf dem mit lautem Knirschen gegen das ungewohnte Gewicht protestierenden Korbgeflecht nieder.
„Wie ich aus Ihrem Gang ersehe“, begann Holmes, „fahren Sie zur See. Landgänge sind ungewohnt für Sie, denn Sie verbringen die meiste Zeit Ihres Lebens auf schwankenden Schiffsplanken. Ihre Zivilkleidung ist zwar von älterem Schnitt, aber noch so gut wie neu und riecht – verzeihen Sie – stark nach Mottenpulver. Warum tragen Sie sie fast nie? Weil Sie normalerweise Uniform tragen. Ihre Haltung ist so straff und tadellos, wie es von einem Offizier der Royal Navy füglich erwartet werden muss. Sie kommen zweifelsohne aus Corfu-City zu uns, möchten aber nicht, dass jemand Sie in Ihrer Uniform unser Haus betreten sieht. Sie haben nicht einmal einen Wagen gemietet, der sie hierher bringt. Also ist Ihr Anliegen so geartet, dass es Rückwirkung auf Ihren Stand als Offizier hätte, würden Sie hier gesehen. Das lässt mich auf ein wirklich außergewöhnliches, ja vielleicht sogar delikates Problem schließen, das sich abträglich auf Ihren Ruf und Ihre Glaubwürdigkeit auswirken könnte. Sie befürchten gar, für betrunken gehalten zu werden, deshalb haben Sie Ihren Atem überprüft. Ich brenne wirklich darauf mehr darüber zu erfahren.“
„Ihre Ausführungen, Mr Holmes, muss ich in jedem Punkt bestätigen. Mein Name ist Kapitän Haige. Calum Haige. Ich befehlige die MS TRIUMPHANT. Sie liegt nach einem Kesselbrand auf Reede im Hafen von Corfu-City. Mein Erster Offizier kümmert sich während meiner Abwesenheit um die Reparaturarbeiten. Ich habe mich zu Ihnen durchgefragt. Nur verrückte Hunde und Engländer gehen in der Mittagsglut vor die Tür. Ihre Anwesenheit auf der Insel ist längst in aller Munde.“
„Das ließ sich leider kaum vermeiden, Kapitän.“ Dann fielen Holmes seine Pflichten als Gastgeber ein. Er rief Stavroula. „Bitte den Metaxa und eine Karaffe Wasser!“ Stavroula knickste drollig, weil ich ihr erzählt hatte, dass englische Hausbedienstete dies tun, und stellte das Gewünschte nebst drei Tonbechern auf den türkischen Tisch. Nachdem sie eingeschenkt hatte, zog sie ihre widerstrebende Tochter, die gar zu gerne den drei fremden Herren zugehört und zugeschaut hätte, hinter sich her in die Küche.
Nach dem Begrüßungstrunk begann Captain Haige zu erzählen.
„Ja, Mr Holmes, ich brauche Ihren Rat. Kameraden oder Vorgesetzte darf ich nicht fragen. Sie würden mich für verrückt ... oder krank halten. Ich habe etwas gesehen, was es eigentlich nicht gibt. Nicht geben darf.“ Er drehte sich misstrauisch zur Küche um. „Wie gut versteht Ihre
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