Sherlock Holmes - Der Rote Kreis
Selbster-haltung. Bemerkenswert ist dieser Fall nur um der Tatsache willen, daß wir inmitten des totalen Dschungels an Möglichkeiten zusammen mit unserem würdigen Mitstreiter, dem Inspektor, die Grundwahrheiten schnell in den Griff bekommen haben. Gibt es noch Einzelheiten, die Ihnen noch nicht ganz klargeworden sind? «
»Ich glaube, dieses seltsame Tier in der Küche mag es gewesen sein. Der Mann war ein pri-mitiver Wilder aus den Backwood von San Pedro, und dies war sein Fetisch. Sein Begleiter und er waren in ein vorher ausgemachtes Versteck geflohen. Sein Begleiter hat ihn sicherlich gewarnt, ein so kompromittierendes Stück mitzunehmen. Aber dem Mulatten lag sehr an dem Fetisch. So fühlte er sich am nächsten Tag dorthin zurückgetrieben. Als er durch das Fenster hineinschaute, saß da der Polizist Walters, der Besitz von dem Zimmer ergriffen hatte. Er wartete weitere drei Tage, und dann trieb ihn sein Aberglaube oder seine Pietät noch einmal dorthin. Inspektor Baynes hatte in seiner Klugheit die Bedeutung dieses Dinges zwar herun-tergespielt, aber er hatte trotzdem seine volle Bedeutung erkannt. Darum hat er eine Falle gebaut, in die der Mann dann auch prompt hineingelaufen ist. Noch ein Punkt, Watson?«
»Der zerfetzte Vogel, die Wanne voller Blut, die angebrannten Knochen und die ganze gruselige Küche? «
Lächelnd blätterte Holmes in seinem Notizbuch.
»Ich habe einen Morgen im Britischen Museum verbracht, um über diese und andere Sachen nachzulesen. Hier ist ein Zitat aus Eckermanns >Voodooism and the Negroid Religions<:
>Der wahre Voodooanbeter unternimmt keine wichtige Handlung, ohne bestimmte Opfer zu bringen, die seine Götter günstig stimmen sollen. In extremen Fällen sind Menschenopfer mit nachfolgendem Kannibalismus bekannt geworden. Üblichere Opfertiere sind ein weißer Hahn, der lebendig in Stücke zerrissen wird oder eine schwarze Ziege, deren Kehle durchgeschnitten wird und die danach ganz verbrannt werden muß.< Sehen Sie, unser wilder Freund ist sehr orthodox in seinen rituellen Handlungen. Es ist grotesk, Watson«, fügte Holmes hinzu und schloß sein Notizbuch, »aber ich habe wohl schon einmal Grund zu der Bemerkung gehabt, daß es nur ein Schritt ist vom Grotesken zum Entsetzlichen.«
Das Abenteuer mit dem Pappkarton
Bei der Auswahl einiger typischer Fälle, die die erstaunlichen mentalen Qualitäten meines Freundes Sherlock Holmes illustrieren sollen, bin ich bestrebt gewesen, diejenigen herauszu-suchen, die der Sensationslust nicht allzuviel bieten, aber dazu dienen, seine großen Talente ins rechte Licht zu stellen. Natürlich ist es völlig unmöglich, Sensation von Kriminalität zu trennen, und so steht der Chronist immer vor einem Dilemma. Entweder muß er notwendige Teile seines Berichtes opfern - damit würde er aber einen falschen Eindruck des Problems erwecken - oder er benutzt das Material, das ihm der Zufall und nicht eigene Wahl beschert hat.
Nach diesem kurzen Hinweis möchte ich mich einem Fall zuwenden, über den ich mir Notizen gemacht habe und der aus einer merkwürdigen Kette von erschreckenden Ereignissen bestand.
Es war ein glühendheißer Tag im August. Die Baker Street glich einem Backofen. Die gle i-
ßenden Sonnenstrahlen auf den gelben Steinen der gegenüberliegenden Häuserfront taten meinen Augen weh. Ich konnte kaum glauben, daß dies die gleichen Häuser waren, die im Winternebel einen so düsteren Eindruck auf mich machten. Wir hatten die Rolläden halb heruntergelassen. Holmes lag zusammengerollt auf dem Sofa und las immer wieder einen Brief, der mit der Morgenpost gekommen war. Was mich betraf, war ich durch meinen Dienst in Indien Hitze gewöhnt und konnte sie besser vertragen als Kälte, und wenn das Thermometer auf neunzig Grad Fahrenheit kletterte, empfand ich es nicht als schlimm. Aber die Morgenzei-tung war uninteressant. Das Parlament machte Sommerpause. Jeder hatte die Stadt verlassen.
Ich sehnte mich nach einer Waldlichtung oder einem Südseestrand. Meine Bankauszüge sahen jedoch so deprimierend aus, daß ich es für geraten hielt, einen Sommerurlaub aufzuschie-ben. Meinen Freund interessieren weder das Landleben noch die See. Er liebt es, auf dem So-fa zu liegen, umgeben von den fünf Millionen dieser großen Stadt. Seine Ordner waren 42
immer in Reichweite, er blätterte darin, stets bereit, auf jedes ungelöste Rätsel eines möglichen Verbrechens einzugehen. Unter seinen vielen Interessensgebieten hatte
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