Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
Untersuchung gewiß nach sich ziehen würde. Und ich möchte nicht an die Offentlichkeit gezerrt werden. Ich habe nicht mehr lange zu leben, aber ich möchte gerne in Ruhe und Frieden leben. Und doch möch-te ich gerne jemandem, der Urteilsvermögen hat, meine schreckliche Geschichte erzählen.
Wenn ich tot bin - soll alles verstanden sein.«
»Sie tun mir viel Ehre an, Madame. Zur gleichen Zeit bin ich aber ein Mensch, der Verantwortung trägt. Ich habe Ihnen nicht versprochen, daß ich, nachdem Sie mir Ihre Geschichte erzählt haben, nicht zur Polizei gehen werde.«
»Ich glaube nicht, daß Sie das tun werden, Mr. Holmes. Ich kenne Ihren Charakter und Ihre Methoden zu gut, denn ich habe Ihre Arbeit seit einigen Jahren verfolgt. Lesen ist das einzige Vergnügen, das mir das Schicksal noch gelassen hat. So entgeht mir wenig von dem, was in der Welt geschieht. Aber ich riskiere es in jedem Fall und überlasse es Ihnen, was sie mit meiner Tragödie machen. Es wird mir gut tun, meine Geschichte zu erzählen.«
»Mein Freund und ich werden Ihnen gerne zuhören.«
Die Frau erhob sich und nahm aus einer Schublade die Fotographie eines Mannes. Er war Be-rufsakrobat, ein Mann von erstaunlicher Physis. Die gewaltigen Arme vor seiner riesigen Brust gefaltet. Und unter dem schweren Schnurrbart brach ein kleines Lächeln hervor - das selbstzufriedene Lächeln eines Mannes, der manchen Kampf bestanden hatte.
»Das ist Leonardo«, sagte sie.
»Leonardo, der starke Mann, der auch als Zeuge vernommen worden ist?«
»Derselbe. Und dies - dies ist mein Mann.«
Es war ein abscheuliches Gesicht. Ein Schwein in Menschengestalt, oder eher noch ein wilder Bär. Er sah fürchterlich aus in seiner Bestialität. Man konnte sich diesen bösen Mund gut vo rstellen, wie er fluchte und tobte und vor Wut schäumen konnte. Die kleinen lasterhaften Augen blinzelten in purer Bosheit in die Welt. Rohling, Schreihals, Biest - all das war in diesem Gesicht mit dem gewaltigen Unterkiefer geschrieben.
»Diese beiden Bilder, werden Ihnen, meine Herren, helfen, meine Geschichte zu verstehen.
Ich war ein armes Zirkusmädchen, das inmitten der Sägespäne aufgewachsen ist. Ich sprang durch die Reifen, bevor ich noch zehn Jahre alt war. Als ich zur Frau heranreifte, verliebte sich dieser Mann in mich, wenn man seine Gelüste überhaupt als Liebe bezeichnen kann. Und in einem bösen Augenblick wurde ich seine Frau. Von denn Augenblick an war ich in der Hölle und er der Teufel, der mich quälte. Es gab niemanden in der Truppe, der nicht wußte, wie er mich behandelte. Er verließ mich wegen anderer Frauen. Er hat mich angebunden und ausgepeitscht, wenn ich mich beklagte. Ich tat allen leid und alle verachteten ihn. Aber was konnten sie machen? Sie hatten Angst vor ihm - alle. Schrecklich war er zu allen Zeiten, aber mörderisch, wenn er getrunken hatte. Immer wieder gab es Anzeigen, wegen Körperverle tzungen und Grausamkeiten an den Tieren. Aber er hatte Geld genug und die Strafen machten ihm wenig aus. Alle guten Leute haben uns verlassen und so ging es mit den Vorstellungen bergab. Nur Leonardo und ich blieben bei ihm - zusammen mit dem kleinen Jimmy Griggs, dem Clown. Armer Teufel, viel war da nicht, worüber er hätte lustig sein können, aber er tat, was er konnte, den Laden zusammenzuhalten.
Leonardo kam mehr und mehr in mein Leben. Sie sehen ja, wie er aussah. Ich weiß jetzt, was für ein armseliger Kerl in diesem großartigen Körper verborgen war, aber verglichen mit me inem Mann war er wie der Engel Gabriel. Er hatte Mitleid mit mir und er half mir auch, bis unsere Freundschaft sich in Liebe verwandelte, tiefe, tiefe, leidenschaftliche Liebe, eine Liebe, von der ich noch nicht einmal gewußt hatte, daß es sie gab. Mein Mann hatte seinen Verdacht, aber ich glaube, daß er sowohl ein Feigling, wie auch ein Schreihals war. Und Leona r-do war der einzige Mensch, vor dem er Angst hatte. Er rächte sich auf seine Weise und quälte mich mehr denn je. Eines Nachts trieb er es so schlimm, daß Leonardo durch meine Schreie aufmerksam geworden, zur Tür unseres Wagens kam. An dem Abend hätte es bald eine Tragödie gegeben. Mein Freund und ich begriffen an dem Abend, daß etwas Schlimmes unwei-gerlich auf uns zukommen würde. Mein Mann gehörte nicht unter die Lebenden. Wir planten seinen Tod.
Leonardo war schlau und durchtrieben. Er hat alles geplant.
Ich sage das nicht, um ihn anzuschwärzen, denn ich war bereit, mit ihm jeden Schritt des
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