Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
Angelegenheit ans Tageslicht zu bringen, aber da kann ich es jetzt auch belassen. Was die moralische Seite Ihres Verhaltens anbetrifft, so ist es nicht an mir, eine Meinung zu äußern. Watson, ich denke, wir müssen uns jetzt in unser schlichtes Quartier zurückziehen. «
Inzwischen ist allgemein bekanntgeworden, daß diese selt-same Episode glücklicher endete, als Sir Roberts Verhalten ver-dient hatte. Shoscombe Prince gewann das Rennen, der sportliche Besitzer gewann achtzigtausend Pfund bei den Wetten und die Gläubiger hielten sich zurück, bis das Rennen vorüber war. Als sie alle voll befriedigt waren, blieb noch genug übrig, um Sir Robert einen neuen Start zu ermöglichen. Sowohl die Polizei als auch der Untersuchungsric hter ließen Milde walten. Er bekam einen Vorwurf zu hören, weil er den Tod seiner Schwester so spät den Behörden gemeldet hatte, aber darüber hinaus kam er mit blauem Auge davon. Er hat jetzt eine neue Karriere begon-nen und es sieht aus, als ob er einem eh-renhaften Alter entgegenginge.
Das Abenteuer des Pensionaers
An jenem Morgen war Sherlock Holmes in melancholischer und philosophischer Stimmung.
Seine sonst so praktische Natur war manchmal zu solchen Reaktionen fähig.
»Haben Sie ihn gesehen?«, fragte er.
»Sie meinen den alten Mann, der gerade hinausgegangen ist? «
»Genau den.«
»Ja, ich habe ihn vor der Tür getroffen.«
»Was halten Sie von ihm?«
»Eine pathetische, nutzlose, gebrochene Kreatur.«
»Richtig, Watson. Pathetisch und nutzlos. Aber ist nicht das ganze Leben pathetisch und nutzlos? Ist nicht seine Geschichte ein kleines Abbild des großen Ganzen? Wir erreichen etwas, wir ergreifen es. Und was halten wir am Ende in den Händen? Einen Schatten. Oder weniger als einen Schatten - das Elend. «
»Ist er einer Ihrer Klienten?«
»Na ja, ich nehme an, daß ich ihn als solchen bezeichnen muß. Er ist vom Yard zu mir geschickt worden, gerade, wie Ärzte manchmal einen hoffnungslosen Fall zu einem Quacksal-ber schicken. Sie sagen, daß sie weiter nichts mehr tun können und, was immer auch geschehen mag, es wird dem Patienten nicht schlechter gehen, als es ihm so schon geht.«
»Was ist mit ihm los?«
Holmes nahm eine recht fettige Karte vom Tisch.
»Josiah Amberley. Er sagte, er sei einst Juniorpartner von Brickfall und Amberley gewesen, einer Manufaktur für Kunstgegenstände. Sie werden diesen Namen auf Farbenschachteln finden. Er hat ein bißchen Geld zusammengespart und hat sich mit einundsechzig aus dem Geschäftsleben zurückgezogen, hat ein Haus in Lewisham gekauft und sich dort nach einem Leben von Schufterei und Gehetze niedergelassen. Man könnte denken, daß er einigermaßen sicher in die Zukunft blicken kann. «
»Aber ja doch.«
Holmes sah auf ein paar Notizen, die er sich auf die Rückseite der Karte geschrieben hatte.
»1896 in den Ruhestand gegangen. Er heiratete eine Frau, die zwanzig Jahre jünger als er selbst ist. Etwas Geld im Hintergrund, eine Frau, Zeit genug, was konnte er sich eigentlich noch mehr wünschen. Und doch ist er innerhalb zweier Jahren zu dieser gebrochenen, elenden Gestalt geworden.«
»Aber was ist denn geschehen?«
»Die alte Geschichte, Watson. Ein betrügerischer Freund hat die Frau eingewickelt. Amberley hat ein Hobby, das er pflegt. Und das ist Schach. Nicht weit von ihm entfernt in Lewisham lebt ein junger Doktor, der ebenfalls Schach spielt. Ich habe mir den Namen aufgeschrieben.
Es ist Dr. Ray Ernest. Ernest hielt sich öfter bei ihm im Haus auf und dadurch ist eine Freundschaft zwischen ihm und Mrs. Amberley entstanden, denn man muß zugeben, daß unser armer Klient äußerlich nicht viel hergibt, wie immer seine Tugenden auch aussehen mögen. Das Paar ist letzte Woche zusammen geflohen. Niemand weiß, wohin. Hinzu kommt noch, daß der treulose Freund die Wertpapiere des alten Mannes und einen guten Teil seiner Ersparnisse hat mitgehen lassen. Ob wie die Dame finden können? Ob wir das Geld retten können? Eine ba-nale Geschichte, die sich da entwickelt hat, aber doch sehr wichtig für Josiah Amberley.«
»Was werden Sie unternehmen? «
»Die Frage muß anders lauten, Watson. Ich muß Sie umgekehrt fragen, was Sie tun werden, denn in diesem Fall müssen Sie handeln. Sie wissen doch, daß ich mit dem Fall der beiden koptischen Patriarchen beschäftigt bin, der jetzt seiner Krise zuläuft. Ich habe wirklich keine Zeit, nach Lewisham herauszu-fahren. Und doch ist es wichtig, an Ort und Stelle nach
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