Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
Stunde gedauert, bis Holmes zu diesen bleiernen Särgen kam, die dicht neben dem Eingang des Ge-wölbes standen. Da endlich hörte ich jenen kleinen befriedigten Aufschrei und seine schnelle-ren, gezielteren Bewegungen machten mir klar, daß er sein Ziel erreicht hatte. Mit seinem Vergrößerungsglas betrachtete er aufmerksam die Ecken des schweren Sargdeckels. Dann zog er aus seiner Tasche ein kurzes Brecheisen hervor, einen Dosenöffner, den er in den schmalen Öffnungsspalt steckte und hebelte so den schweren Deckel zurück, der nur durch ein paar Zwingen gesi chert schien. Mit einem zerrenden und knarrenden Geräusch gab er nach, aber kaum schlug er zurück, und gab, wenigstens teilweise seinen Inhalt preis, als sich eine unvo r-hergesehene Unterbrechung ereignete.
Jemand ging oben in der Kapelle umher. Es waren die schnellen, festen Schritte eines Menschen, der sich seiner Umgebung völlig sicher war, und der genau wußte, warum er gekommen war. Licht strömte die Treppe herunter und einen Augenblick später stand der Mann, der das Licht trug, eingerahmt in dem gotischen Eingangsbogen. Es war eine schreckliche Gestalt, eine riesige Figur und scheinbar sehr feurigen Gemütes. Die große Stallaterne, die er vor sich her trug, beleuchtete von unten her sein kräftiges Gesicht mit dem schweren Schnurrbart und den bösen, verärgerten Augen, die zornig in jede Ecke der Höhle blickten und schließlich mit einem tödlichen Starren auf meinem Begleiter und mir hängenblieben.
»Wer zum Teufel seid ihr?« donnerte er los. »Und was habt ihr auf meinem Besitz zu suchen?« Dann, als Holmes nicht antwortete, kam er ein paar Schritte weiter und hob drohend einen schweren Stock hoch. »Hört ihr mich?« brüllte er. »Wer seid ihr? Was tut ihr hier. «
Sein drohender Stock sauste durch die Luft.
Aber statt zurückzuweichen, ging Holmes ihm entgegen. »Ich hätte ebenfalls eine Frage an Sie zu richten, Sir Robert«, sagte er in seinem strengsten Tonfall. »Wer ist dies hier, und was tut sie hier?«
Er drehte sich um und öffnete den Sargdeckel hinter sich. Im Schein der Laterne sah ich eine Leiche, die von oben bis unten in Leinentücher gehüllt war, mit gräßlichen, hexengleichen Zügen, scheinbar nur Nase und Kinn, die an einem Ende herausragten. Weit offene Augen starrten aus dem verfärbten, eingefallenen Gesicht.
Der Baron stolperte mit einem Schrei zurück und mußte sich an den Steinsarkophagen festha lten.
»Wie haben Sie dies herausgefunden?« rief er. Dann fand er seinen eigenen Mut wieder und sagte zornig. »Was geht Sie das eigentlich alles an?«
»Mein Name ist Sherlock Holmes«, sagte mein Freund. »Möglicherweise haben Sie von mir gehört. In jedem Fall ist es meine Pflicht, wie die jeden guten Bürgers, das Gesetz aufrecht-zuerhalten. Mir scheint, Sie hätten sich für eine ganze Menge zu verantworten.«
Sir Robert starrte ihn eine Weile wild an. Aber die ruhige Stimme von Holmes und die kühle, sichere Art hatte ihre Wirkung auf ihn.
»Um Gottes willen, Mr. Holmes, es hat ja alles seine Richtigkeit. Der Schein ist zwar gegen mich, das gebe ich zu, aber ich konnte nicht anders handeln.«
»Wenn das so ist, wäre ich glücklich, aber ich fürchte, Sie werden sich vor der Polizei zu verantworten haben. «
Sir Robert zuckte mit seinen breiten Schultern.
»Was sein muß, muß sein. Kommen Sie mit zum Haus und hören Sie selbst, wie die Dinge stehen.«
Eine Viertelstunde später waren wir in einem Raum, den ich, von den polierten Metallröhren hinter Glasvitrinen her zu urteilen, für den Waffenraum des alten Hauses hielt. Er war sehr gemütlich eingerichtet. Sir Robert ließ uns hier einen Augenblick alleine. Als er zurückkehrte, war er in Begleitung zweier Personen. Die eine war jene junge Frau, die wir am Morgen in der Kutsche gesehen hatten und die andere war ein rattengesichtiger Mann mit einer unangenehm geheimnistuerischen Art. Die zwei sahen sehr erschrocken und verwirrt aus. Das zeigte uns, daß der Baron noch nicht die Zeit gefunden hatte, ihnen zu erklären, wie die Dinge sich entwickelt hatten.
»Das«, sagte Sir Robert mit einer Handbewegung, »sind Mr. und Mrs. Norlett. Mrs. Norlett, die den Mädchennamen Evans hat, ist ein paar Jahre lang die vertraute Zofe meiner Schwester gewesen. Ich habe sie heruntergebracht, weil ich finde, daß sie am besten erklären kann, was sich hier in Wahrheit abgespielt . hat und es sind die beiden einzigen Menschen auf der Welt, die bestätigen
Weitere Kostenlose Bücher