Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
entwickeln. Auf Wiedersehen. Und ich glaube, daß wir uns vor dem Morgen noch wiedersehen werden. «
Es war nahezu Mitternacht, als wir zwischen den Büschen, direkt gegenüber der Haustür des Professors Posten bezogen. Es war eine schöne, klare Nacht, aber etwas kühl, und wir waren froh, daß wir unsere warmen Mäntel angezogen hatten. Ein starker Wind ging und die Wolken segelten über den Himmel dahin. Ab und zu verdeckten sie dabei den Halbmond. Es wäre eine unangenehme Nachtwache geworden, wären wir nicht aufgeregt und voller Erwartung gewesen. Zudem tröstete mich mein Freund damit, daß wir jetzt möglicherweise am Ende dieser merkwürdigen Ereignisse seien, mit denen wir beschäftigt waren.
»Wenn der Zyklus der neun Tage hält, was er verspricht, dann sollten wir den schlimmsten Ausfall des Professors heute nacht erwarten«, sagte Holmes. »Die Tatsache, daß seine seltsamen Symptome nach der Reise nach Prag begannen, daß er eine geheime Korrespondenz mit einem Händler aus der Londoner Boheme führt und daß er heute wieder ein Päckchen erha lten hat, weist alles in die gleiche Richtung. Was er nimmt und warum er es nimmt, das ent-zieht sich bisher unserer Kenntnis, aber daß es irgendwie mit Prag zu tun hat, ist klar genug.
Er nimmt es unter ganz bestimmten Anweisungen, die einen Neun- Tage-Rhythmus vorschrei-ben. Aber seine Symptome sind sehr seltsam. Haben Sie seine Fingerknöchel gesehen?«
Ich mußte zugeben, daß ich sie nicht bemerkt hatte.
»Dick und mit dichter Hornhaut besetzt, und das auf eine Weise, die für mich neu ist. Sehen Sie die Hände immer zuerst an, Watson. Danach die Hemdenaufschläge, die Knie der Hosen und die Stiefel. Sehr komische Fingerknöchel, die ich mir nur erklären kann, wenn ich an die Beobachtungen denke ... « Holmes unterbrach sich plötzlich und schlug sich mit der Handflä-
che gegen die Stirn. »O Watson, Watson, was für ein Narr bin ich gewesen. Es scheint unglaublich, und doch muß es wahr sein. Alles zeigt in diese Richtung. Wie konnte ich diese Gedankenverbindungen bloß übersehen? Diese Fingerknöchel, wie konnte ich diese Finge r-knöchel bloß übersehen? Und der Hund? Und das Efeu! Es ist wirklich Zeit, daß ich mich auf meine kleine Traumfarm zurückziehe. Vorsicht, Watson, da ist er! Wir werden die Cha nce haben, ihn selber zu sehen. «
Die Tür der Halle wurde langsam geöffnet und ge gen den vom Lampenlicht erhellten Hintergrund sahen wir die hohe Gestalt von Professor Presbury. Er war in seinen Morgenmantel ge-hüllt. Wie er so in der Tür stand, war er aufrecht. Aber die Hände ließ er lose vor sich her baumeln, genauso, wie wir ihn das letzte Mal gesehen hatten.
Nun wanderte er in die Auffahrt und eine sehr seltsame Veränderung ging mit ihm vor. Er ließ sich auf die Hände nieder und bewegte sich auf Händen und Füßen vorwärts. Ein paar Mal schien es, als ob Schübe von Energie und Vitalität durch ihn hindurchflössen. Er bewegte sich um das Vorderhaus herum und dann um die Ecke. Als er um die Ecke verschwunden war, huschte Mr. Bennett leise zur Haustür heraus und folgte ihm.
»Kommen Sie, Watson, kommen Sie!« rief Holmes und wir stahlen uns so leise, wie wir konnten durch das Gebüsch, bis wir die Stelle erreicht hatten, von wo aus wir die andere Seite des Hauses sehen konnten, die im hellen Licht des Halbmondes lag. Der Professor hockte jetzt, klar für uns sichtbar, am Fuß der mit Efeu bewachsenen Hausfront. Als wir noch hin-schauten, begann er mit unglaublicher Behendigkeit am Efeu emporzuklettern. Er sprang von Ast zu Ast, mit sicherem Fuß und festem Griff. Das Klettern geschah, wie es schien, nur aus Freude, seine eigenen Kräfte auszuprobieren, ohne irgendein bestimmtes Ziel im Auge zu haben. Sein Morgenmantel flatterte zu beiden Seiten hin und her. Er sah aus, wie eine riesige Fledermaus, die an die Hauswand geklebt war, ein großer dunkler Fleck an der mondbeschie-nen Wand. Schließlich schien er dieses Vergnügens müde geworden zu sein, er ließ sich von Ast zu Ast herunterfallen, dann hockte er sich auf die alte Weise nieder und bewegte sich auf die Ställe zu. Er kroch auf die gleiche seltsame Weise daher, wie vorhin. Der Wolfshund war jetzt draußen und bellte wie verrückt, und als er seines Herrn ansichtig wurde, steigerte sich seine Erregung noch. Er zerrte an der Kette und zitterte vor Wut und Verlangen, endlich los-zukommen. Der Professor hockte sich sehr bewußt genau außerhalb der Reichweite des Hundes
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