Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
nieder und provozierte das Tier auf jede nur erdenkliche Weise. Er nahm Kieselsteinen vom Weg auf und warf sie dem Hund ins Gesicht, stach mit einem Stock nach ihm, ließ seine Hand nur ein paar Zentimeter vor dem zuschnappenden Maul baumeln und schien mit voller Absicht die Wut des Hundes, die nicht mehr zu kontrollieren war, steigern zu wollen. In all unseren Abenteuern habe ich wohl kein makaberes Bild gesehen, wie diese stille, und immer noch würdige Gestalt wie ein Frosch auf dem Weg hockt, die und die unkontrollierbare Wut des Hundes mit genial ausgeklügelter Grausamkeit immer weiter stachelte, der vor ihm tobte und völlig außer sich war.
Und dann passierte es! Es war nicht so, daß die Kette nachgegeben hätte, aber der Kopf rutschte aus dem Halsband heraus, das für einen Neufundländer mit dickerem Nacken gedacht war. Wir hörten das Rasseln des fallenden Metalls und im nächsten Augenblick rollten Mann und Hund auf dem Boden dahin, der eine in seiner Wut mit heiserem Heulen, der andere im fremden, schrillen, Falsetto der plötzlichen Angst. Einen Augenblick hing das Leben des Professors am seidenen Faden. Die wildgewordene Kreatur hatte ihn schon bei der Gurgel gepackt, seine Fänge hatten sich tief eingegraben und er war bewußtlos, bevor wir ihn und den Hund auseinander zerren konnte. Auch für uns hätte das Unternehmen gefährlich werden können, aber Bennetts Gegenwart und seine Stimme brachten den großen Wolfshund sofort zur Räson. Durch den Krach war der Kutscher aufgewacht und kam nun verschlafen aus seiner Wohnung oberhalb der Ställe. »Das überrascht mich nicht«, sagte er. »Ich habe ihn schon einmal so gesehen. Ich habe es gewußt, daß der Hund ihn früher oder später kriegen würde.«
Der Hund wurde wieder angekettet und zusammen trugen wir den Professor in sein Zimmer, wo Bennett, der ein Examen in Medizin abgelegt hatte, mir half, die Halswunden zu versorgen. Der Biß war gefährlich nah der Hauptschlagader und er hatte einen starken Blutverlust.
Aber innerhalb der nächsten halben Stunde war er aus der Gefahr heraus. Ich hatte dem Patienten eine Morphiumspritze gegeben und er war in tiefen Schlaf gefallen. Dann, und erst dann waren wir in der Lage, einander anzusehen und uns über die Situation klar zu werden.
»Man sollte einen erstklassigen Chirurgen herholen«, schlug ich vor.
»Um Himmels willen nein!« rief Bennett. »Im Augenblick betrifft der Skandal nur unseren eigenen Haushalt. Hier ist er gut aufgehoben. Wenn es über die Mauern hinweg nach draußen dringt, dann hört er niemals mehr auf. Denken Sie an seine Position in der Universität, seinen europäischen Ruf und die Gefühle seiner Tochter.«
»Richtig«, sagte Holmes. »Ich glaube schon, daß es möglich ist, daß wir die Angelegenheit unter uns abmachen und ebenfalls verhindern, daß dergleichen wieder vorkommt, nun, da wir freie Hand haben. Geben Sie mir den Schlüssel von seiner Uhrkette, Mr. Bennett. Macphail kann bei dem Patienten bleiben und uns wissen lassen, wenn irgendwelche Veränderungen sich zutragen. Mal sehen, was wir in dem rätselhaften Kästchen des Professors finden.«
Es war nicht viel, aber das genügte - eine leere Ampulle, eine andere, noch fast voll, eine Spritze, mehrere Briefe in krakeliger, ausländischer Schrift. Die Zeichen auf den Briefen waren dieselben, die den Routineablauf des Lebens des Sekretärs so empfindlich gestört hatten.
Jeder von ihnen war mit >Commercial Road< datiert und mit >A. Dorak< signiert. Sie sagten lediglich aus, daß eine neue Flasche unterwegs zu Professor Presbury sei, oder eine Rechnung oder Mahnung wegen Geld. Es gab da allerdings noch einen Briefumschlag, mit einer etwas gebildeteren Handschrift. Eine österreichische Briefmarke war daraufgeklebt und der Post-stempel war von Prag, .. »Hier haben wir unser Material!« rief Holmes und zerrte den Brief aus dem Umschlag. Er las:
Sehr geehrter Herr Kollege!
Seit Ihrem mir hochwillkommenen Besuch habe ich über Ihren Fall nachgedacht. Obgleich es in Ihrem speziellen Fall gewichtige Gründe für die Behandlung gibt, darf jedoch die Vorsicht nicht außer acht gelassen werden, denn meine Ergebnisse beweisen, daß die Behandlung nicht ganz ungefährlich ist.
Möglicherweise wäre das Serum eines Menschenaffen besser für Sie geeignet gewesen.
Ich habe jedoch, wie ich es Ihnen bereits erklärt habe, das Serum eines schwarzgesichtigen Langur genommen, weil dieses das im Augenblick einzig verfügbare ist. Der
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