Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
Augenhöhe sah er einen blau funkelnden Kristall in einem silbernen Amulett, der im Gleichklang mit seinem Herzen pulsierte.
„Raymond, tu es nicht. Lass Michael leben, ich bitte dich. Du hast doch, was du willst.“
Das Amulett bewegte sich und ein boshaftes Lachen erklang. Die Brust des Trägers vibrierte unter dem Gelächter. Holmes wusste, er sollte Angst haben, aber da es sich um einen Traum handelte, fand er das irrational und wartete stattdessen ab.
Ihm war inzwischen klar, dass die Frau nicht, wie zunächst von ihm vermutet, Lady Cecilia Morning war, sondern Lady Valerie Muirhurst.
Die Ähnlichkeit der beiden Frauen war verblüffend. Zufall? Oder setzte sein benebelter Geist nur ein bestimmtes Bild an die Stelle der Geisterfrau? Nicht ungewöhnlich konstatierte sein rationaler Verstand. Immerhin hatte er bewusst noch nie ein Bild von Lady Valerie gesehen.
„Ich brauche schon einen Beweis, dass du mich nicht wieder hintergehst, meine teuerste Valerie. So, wie du mich mit ihm hintergangen hast.“
Holmes kombinierte, dass mit „ihm“ wohl er gemeint war. Oder zumindest die Person, die er in dieser Vision verkörperte. Der ungewöhnlichste Rausch, den er je erlebt hatte. Höchst interessant, auch wenn ihm noch nicht klar war, was das bedeuten mochte, und in welchem Zusammenhang es mit einer gefrorenen Leiche stand.
In dem Moment, als er sich die Frage stellte, leuchtete der Kristall auf und eisige Kälte breitete sich in ihm aus. Etwas zog an seinem Inneren als wolle es seine Seele aussaugen. Ein merkwürdiges Gefühl.
Allmählich wurde der Meisterdetektiv unruhig. Dies war absolut nicht das, was er sonst im Rausch erlebte. Etwas, das plausible Möglichkeiten lieferte, deren Stichhaltigkeit er überprüfen konnte. Sein Empfinden war erschreckend real, das Gefühl, es ginge um Leben und Tod, als würde die Welt eisig kalt und das Leben aus ihm herausgesogen.
„Sie müssen mir helfen.“ Die Stimme einer Frau holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Das Bild verschwamm und als er die Augen öffnete, fand er sich wieder in seinem von Rauchschwaden durchzogenen Arbeitszimmer.
„Sie müssen mir helfen.“
Holmes fuhr hoch. Gehörte Lady Morning nicht zur Vision? Oder Lady Valerie, wenn man es genau nahm. Aber die Frau vor ihm sah anders aus, als in seiner Vision, was daran lag, dass sie eine gewisse Transparenz aufwies.
„Wer sind Sie?“
„Das wissen Sie, Mr Holmes. Sie müssen mir helfen. Sonst wird es noch mehr Tote geben.“
Er runzelte die Stirn. Stand er tatsächlich dem Geist von Lady Valerie gegenüber? Sein Verstand sagte ihm, dass so etwas unmöglich war. Es gab keine Geister. Doch zweifellos sprach hier eine durchsichtige weibliche Gestalt zu ihm und er war nicht bereit, dies allein dem Kokain zuzuschreiben.
„Wollen Sie sagen, dass Sie den Geisterjäger getötet haben?“ Lady Valerie schüttelte den Kopf. „Er wird nicht aufgeben, bis er meiner habhaft wird. Helfen Sie mir, Mr Holmes. Um Michaels Willen. Finden Sie das Siegel der Unsterblichkeit für mich.“
„Das Siegel der Unsterblichkeit? Sie meinen das Amulett?“ Sie nickte. „Bringen Sie es mir zurück.“
„Aber wie? Und warum?“
„Folgen Sie den Spuren, Mr Holmes. Finden Sie Michael, dann werden Sie verstehen.“
Die Gestalt wurde immer durchscheinender. Sie verschwand, dabei hatte er noch so viele Fragen. Aber vermutlich zu wenig Zeit, sie alle zu stellen.
„Ganz recht, Mr Holmes. Sie haben wenig Zeit. Weniger als Sie glauben. Denn jetzt, wo es ihm gelungen ist, mich von meiner Ruhestatt fortzulocken, trage ich den Fluch des Siegels, der mir ebenso innewohnt wie dem Kristall, überall hin, wo ich wandle. Es beginnt hier in der Baker Street und wird sich bald auf ganz London ausweiten, wenn Sie es nicht aufhalten.“
Mit diesen Worten verschwand sie und Holmes blieb allein zurück.
Benommen von den Nachwirkungen der Droge übermannte ihn der Schlaf und bei seinem Erwachen war er sich nicht mehr sicher, wie viel von dem Geschehen Traum und wie viel Wahrheit sein mochte.
Den Wahrheitsgehalt bekam Holmes am nächsten Morgen jedoch deutlicher bestätigt, als ihm lieb war. Bei seinem Erwachen fror er entsetzlich, was er zunächst nicht zuzuordnen wusste, bis er seine nackten Füße auf den Boden vor seinem Bett setzen wollte, ausglitt und der Länge nach hinfiel. Was war das? Überall war Eis.
Während er sich am Bettpfosten hochziehen wollte, was nicht so einfach war, schlitterte Watson in das
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