Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
hatte er gleich die kompletten Tiere, die er sich auslieh, mit in die Baker Street gebracht. In dieser Zeit glich unsere gemeinsame Wohnung häufig einem Zoo.
Rasch steckte Holmes den Fund in seine Rocktasche und eilte zurück zum Einspänner, wo Pater Hamworth immer noch wartete.
„Auf, Pater. Wenn Sie die Güte hätten, würde ich gerne Ihre Dienste erneut in Anspruch nehmen. Inspektor Hopkins erwartet unsere Ankunft auf Huntington Manor. Vielleicht können Sie uns auf dem Weg dorthin, etwas über die Bewohner des Anwesens erzählen.“
„Gerne, Mr Holmes. Hausherr von Huntington Manor ist Sir Richard Huntington, der das Anwesen von seinem Vater erbte. Zuvor ist Huntington viel gereist, vor allem auf dem Kontinent und in Osteuropa. Dort lernte er bei einer Zigeunersippe seine Gemahlin Rosa kennen, die er mit nach England nahm. Ihre Eltern und Geschwister haben dagegen keinen Einwand erhoben, hat sie sich doch zeit ihres Lebens von der Sippe abgesondert aufgehalten und selten ein Wort gesprochen. Nur zu ihrer Großmutter hielt sie engen Kontakt.
Doch als diese unvermutet starb, wollte sie nicht länger bei ihrer Familie bleiben. Kurz danach kreuzten sich zufällig die Wege von Rosa und Sir Richard, der mit seinem Bediensteten Craven reiste. Sie ist eine bildhübsche Frau mit pechschwarzem Haar und einem temperamentvollen Wesen, wenn mir das gestattet ist zu sagen.“
„Wer wohnt noch auf dem Anwesen?“, fragte ich den Pfarrer.
„Außer den Herrschaften und dem verstorbenen Diener Craven, gibt es noch ein Hausmädchen und eine ältere Köchin. Fleißige und freundliche Damen, nichts Außergewöhnliches.“
„Haben die Huntingtons Kinder?“
„Nein, Dr. Watson. Sir Richard wollte zwar immer einen Sohn haben, doch offenbar ist Rosa nicht in der Lage ihm ein Kind zu schenken. Dennoch, er liebt seine Frau abgöttisch.“ Während unseres Gespräches hatte mein Freund geschwiegen und scheinbar teilnahmslos die Gegend betrachtet, doch mich konnte er nicht täuschen. Er hatte jedes einzelne Wort genau registriert und sich zugleich ein umfassendes Bild von der ländlichen Umgebung Huntington Manors gemacht. Das Eisentor zum Park stand offen und so fuhren wir direkt vor das riesige, eichene Eingangsportal.
„Achten Sie auf die beiden Doggen, mein lieber Watson!“, riet mir Sherlock Holmes beim Aussteigen.
„Die … was?“, meine Stimme klang leicht schrill, als mir bewusst wurde, worauf mich mein Freund gerade hingewiesen hatte.
„Ihnen ist doch sicherlich nicht entgangen, dass sich rechts bei den Stallungen ein riesiger Zwinger befindet, außerdem rund um das Eingangsportal enorm große Pfotenabdrücke, die unzweifelhaft von zwei verschiedenen Tieren stammen.“
Ich musste schlucken. „Meinen Sie …?“
Barsch unterbrach Holmes meine beginnende Spekulation, indem er zu dem bronzenen Löwenkopf am Portal griff und ihn dreimal laut gegen die Beschläge krachen ließ. Kurz darauf öffnete uns ein junges, hübsches Mädchen, dessen flackernder Blick Angst verriet, versetzt mit einem Quäntchen Hoffnung, dass es Inspektor Hopkins und uns gelingen möge, dem Grauen ein Ende zu bereiten. Das Hausmädchen ließ uns ein und führte uns direkt in das Arbeitszimmer von Sir Richard, der lautstark mit Inspektor Hopkins debattierte.
„Ich habe Ihnen und Ihren Kollegen bereits mehrfach Auskunft über den Vorfall erteilt. Ich verbitte mir im Weiteren jegliche Ermittlung in meinem privaten Umfeld. Ihre impertinente Art der Befragung stellt eine Brüskierung meines Standes dar. Ich warne Sie, Inspektor. Treiben Sie es nicht zu toll, sonst könnte es sein, dass Sie demnächst als Dorfpolizist in Cornwall Dienst haben.“ Der sichtlich in Verlegenheit geratene Hopkins hub gerade an, seine Arbeit zu verteidigen und die Notwendigkeit einer intensiven Ermittlung seinem Gegenüber begreiflich zu machen, als Holmes mit langen Schritten selbstbewusst auf Sir Richard Huntington zuschritt.
Dieser hielt in seinem Redeschwall inne, blickte abwechselnd zu Holmes und mir und bekam einen hochroten Kopf. Mit einem Satz schnellte seine imposante Erscheinung hinter dem ausladenden Schreibtisch hoch. Er war leibhaftig eine beeindruckende Persönlichkeit. Mit seiner Größe von sechs Fuß und einem Kreuz, das einem Grizzly-Bär zur Ehre gereicht hätte, war er es sicherlich gewohnt, sein Gegenüber allein durch seine Präsenz einzuschüchtern. Hinzu kam ein über und über behaartes Anlitz. Die schwarzgraue Löwenmähne ging
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