Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
ein und ich wurde von Überschwang erfüllt. Plötzlich ergab alles einen Sinn. Ich hatte offenbar eine gehörige Portion der Pilzsporen abbekommen, was mich zu der Frage führte, wie es erst den Herrschaften ergangen sein musste, wenn ich nur so kurzen Kontakt damit gehabt hatte. Ich musste unbedingt mit Watson darüber reden und ihn beiläufig fragen, in welcher Dosis die Pilze ernsthafte gesundheitliche Risiken mit sich brachten.
Ich ließ Epping Forest hinter mir, trat in die letzten Sonnenstrahlen und schlenderte auf meinen Freund zu, zog jedoch schon nach wenigen Schritten eine Augenbraue in die Höhe. Watson hatte mehrere Male in meine Richtung gesehen, den Blick jedoch unbeirrt wieder zurückwandern lassen. Er bemerkte mich nicht! Ein leichter Ärger wuchs in mir. Welche Bestätigung, Watson zu keinem heiklen Tatort mehr mitzunehmen – er würde sonst noch direkt über die Leiche stolpern!
„Holmes! Wo sind Sie?“ Mein Freund hielt die Hände wie einen Trichter vor den Mund und rief aus Leibeskräften in den Wald hinein.
„Ich bin hier, mein lieber Watson. Sie haben hoffentlich nicht die ganze Zeit in der Sonne gestanden?“ Meine Antwort fiel etwas provokant aus, doch seine Unaufmerksamkeit war mir ein Dorn im Auge.
Watson drehte sich im Kreis, betrachtete unsere Kutsche und sah schließlich wieder zum Wald. „Sie und Ihre Ideen. Ich habe gleich gewusst, dass es nicht gut ist, wenn ich hierbleibe!“ Seine Stimme glich eher einem undeutlichen Murmeln und brachte mich dazu, meinen Schritt zu verlangsamen.
„Nun“, erwiderte ich gedehnt, „jetzt bin ich ja zurück und alles ist gut. Sind Sie sicher, dass auch mit Ihnen alles in Ordnung ist?“
„Warum müssen Sie sowas immer wieder machen? Warum tun Sie mir das an?“
Spätestens jetzt war ich verwirrt. War das nicht etwas viel Dramatik wegen einer Untersuchung, zu der ich ihn nicht mitgenommen hatte? Ich wollte zu einer passenden Antwort ansetzen, doch in dem Moment wandte sich Watson mir zu und der Satz blieb mir in der Kehle stecken. Tiefe Sorgenfalten zogen über sein Gesicht, ließen ihn Jahre älter aussehen. Mein schlechtes Gewissen erdrückte mich augenblicklich.
„Verzeihen Sie, lieber Freund. Ich hatte keine Ahnung, dass ich Ihnen solche Sorgen bereite. Ich muss die Zeit aus den Augen verloren haben, als …“
„Es hat keinen Sinn!“, unterbrach mich Watson. „Ich muss jetzt fahren, sonst wird es noch später.“
Seine Stimmungsschwankungen bereiteten mir zunehmend Sorgen.
„Später? Wofür? Wollen Sie etwa noch in den Schwarzen Salon?“ Ich seufzte, als meine Frage unbeantwortet in der Luft hing und nickte schließlich. „Ganz wie Ihnen beliebt – ich habe alles, was ich brauche. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten Sie später …“
„Vielleicht treffe ich noch Inspektor Lestrade an. Ich muss mich beeilen.“
„Was?“ Ich war einige Schritt zur Kutsche gegangen, blieb nun jedoch verwirrt stehen und sah Watson an. „Was wollen Sie beim Inspektor?“
Mein Freund ignorierte mich erneut, während er zur Kutsche stürmte, als hinge sein Leben davon ab. Meine Sorge über sein seltsames Verhalten wich allmählich Übellaunigkeit, weswegen ich ihm mit verschränkten Armen im Weg stehen blieb.
„Das werde ich Ihnen sehr, sehr lange vorhalten, Holmes!“, zischte Watson aufgebracht und ich kniff die Augen zusammen. Er kam wie eine Dampflok auf mich zugeeilt, doch ich weigerte mich, auch nur einen Schritt zurückzuweichen.
„Jetzt beruhigen Sie sich endlich!“ Watson hatte mich fast erreicht, und ich ertappte mich dabei, wie ich mich beunruhigt umsah. „Um Himmels willen! Bleiben Sie stehen!“
Doch Watson ignorierte meine Worte. Er stürzte direkt auf mich zu, anscheinend zu allem bereit. Kam immer näher. Und dann … lief er direkt durch mich hindurch.
Nur die Tatsache, dass ich nicht allein zurückbleiben wollte, holte mich aus meinem Schock zurück. Ich hatte keine Ahnung, was geschehen war, doch schien es undenkbar, dass es mit den Pilzsporen zusammenhing. Sie vermochten vielleicht, in einen entrückten Zustand zu versetzen, aber sie machten sicher nicht unsichtbar. Zumindest nahm ich an, es zu sein, da ich die Rückfahrt ohne jeden Erfolg damit verbrachte, Watson anzuschreien oder zu boxen. Wobei ich hier zur Unschärfe neige. Tatsächlich blieb Letzteres bei einem Versuch, da meine Hand jedes Mal durch ihn hindurch glitt und mich zu der interessanten Frage führte, warum ich vor ihm in der Kutsche
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