Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
der Polizist ärgerlich, „wennś kein verdammter Teufel war, was war es dann?“
Holmes legte mit der gezierten Geste, die ich an ihm nicht ausstehen konnte, die Fingerspitzen zusammen und zog die Augenbrauen hoch. „Eine einfache chemische Reaktion. Ich hatte schon einmal mit einem ähnlichen Fall zu tun.“
„Davon haben Sie mir nie etwas erzählt!“, protestierte ich.
Er winkte ab. „Mein lieber Watson, hätte ich Ihnen davon erzählt, so hätten Sie eine primitive Schauergeschichte daraus gemacht, in der alles vorkommt, nur nicht die wenigen interessanten Überlegungen, die mich zur Lösung des Falles führten. Nun … damals wie heute handelte es sich um eine Entität, die spontan entstand. Ist nicht alles Leben auf Erden aus der zufällig richtigen Kombination von Wärme, Wasser und ein paar anderen Ingredenzien entstanden?“
„Mein Herr!“ Der Pfarrer war so entrüstet, dass er mit der flachen Hand auf den Tisch schlug.
Holmes bedeutete ihm mit einer sanft abwehrenden Geste zu schweigen. „Im seinerzeitigen Fall war leicht zu erkennen, wie es dazu gekommen war. Es handelte sich beim Ort der Erscheinung nämlich um das Lager einer Chemikalienfabrik, das bei einem Brand zerstört wurde. Flaschen zersprangen, Gefäße schmolzen, Gebinde sprangen auf … und durch diese zufällige, von niemandem geplante Mischung inmitten von Hitze und Wasser kam es zur Entstehung eines Wesens, das dem hiesigen sehr ähnlich war. Seinem Ursprung entsprechend, war es ein Feuergeschöpf, während Netherbys Verderben vermutlich aus dem Schimmel eines alten Hauses entstand. Und da es sich in beiden Fällen um hoch giftige Verbindungen handelte, kam es bei uns – wie auch bei den Arbeitern damals, die den Dämpfen des Chemikalienbrandes ausgesetzt waren – zu den eigentümlichen Gehirnaffektionen, die uns belästigten.“
„Holmes!“, rief ich. „Wir haben es gesehen! Und nicht nur gesehen. Es warf den Stuhl durch die Halle, es schlug Türen zu, es packte meine Hand. Ich spüre jetzt noch, wo diese widerliche Zunge mein Gesicht berührte!“ An dieser Stelle hatte ich nämlich eine kleine, aber sehr schmerzhafte Wunde wie von einer Verletzung durch Säure zurückbehalten. „Und wir hörten seine Stimme!“
„Halluzinationen.“
„Also ich glaube dem Pfarrer“, erklärte der Dorfpolizist kategorisch. „Lassen Sie uns doch noch einmal Ihre Meinung hören, Hochwürden.“
Der alte Mann lächelte milde. Dann stand er auf und holte aus seinem Bücherschrank einen umfangreichen Wälzer, dessen vergilbte Seiten er vor uns aufblätterte. Schließlich legte er den Finger auf eine Stelle und las, durch seinen Kneifer schielend, vor: „Im untersten Chor der Dämonen, ein Wesen, von den Gelehrten der Kephalophagus oder Kopffresser genannt, da es gleichsam das Innere des Kopfes mitsamt seinen Gedanken verzehrt. Dieser ist ein bösartiges Elementarwesen, welches unter gewissen unglücklichen Umständen aus einer Mischung verderblicher Stoffe entsteht und durch seine giftige Natur die Gedanken jener verseucht, von denen es Besitz ergreift.
Es wird zerstört durch die ihm entgegengesetzten Elemente, ist es aus Feuer, so durch Wasser, ist es aus Erde, durch Feuer.“
„Mit anderen Worten“, kommentierte Holmes lächelnd, „eine einfache chemische Reaktion.“
Guido Krain
www.guido.krain.de
studierte Biologie, Japanologie und Medienkultur in Bochum und Hamburg und stieg dann mit einem Volontariat beim Hamburger „Magazin-Verlag“ ins Berufsleben ein. Arbeitete als Online-Redakteur bei einem New-Media-Unternehmen, hat eine Materndienstredaktion geleitet und Computer-Fachbücher beim bekannten
„Data Becker Verlag“ veröffentlicht.
Im Sommer 2000 gründete er die Autoreninitiative Fantasy-Buch.de und hat hier mehrere Bücher produziert.
Arbeitet mittlerweile als freier Autor und Journalist und ist u.a. in einigen Anthologien von Alisha Bionda vertreten.
Im Juni 2011 erscheint sein Erotikromen Masken der Sinnlichkeit in der ARS AMORIS
(Sieben Verlag)
DER GESICHTSLOSE
Guido Krain
„Es ist eine dumme Sache“, fasste Holmes den aufwühlenden Besuch des Inspektors zusammen. Es war das Erste, was er sagte, nachdem sich der verstörte Polizist von ihnen verabschiedet hatte. Sinnierend hatte er dort gesessen, während wir unser unterbrochenes Frühstück beendeten. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit schien mir seine Zusammenfassung jedoch etwas kurz zu greifen, was angesichts seiner langen Grübelei umso
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