Sherlock Holmes - gesammelte Werke
ihn benutzen. Doch ich muss noch etwas schuldig sein. Sorgen Sie doch dafür, Watson. Ich bin ganz verwirrt und unfähig, mir selbst zu helfen.«
Um der Einwirkung der abscheulichen, betäubenden Giftdämpfe zu entgehen, schritt ich mit angehaltenem Atem den schmalen Gang zwischen der Doppelreihe von Schläfern entlang und suchte nach dem Wirt. Als ich an der hageren Gestalt bei dem Kohlenbecken vorüberkam, fühlte ich mich plötzlich am Rockschoß gezupft, und eine leise Stimme flüsterte mir zu: »Gehen Sie an mir vorüber, und dann sehen Sie sich nach mir um.« Diese Worte trafen mein Ohr ganz deutlich. Ich blickte auf. Sie konnten nur von dem Alten neben mir herrühren, und doch saß er so geistesabwesend, schlotterig und vom Alter gebeugt da wie zuvor; seine Opiumpfeife baumelte ihm zwischen den Knien, als wäre sie eben den schlaffen Fingern entglitten. Ich ging zwei Schritte weiter und sah zurück. Und nun bedurfte ich meiner ganzen Selbstbeherrschung, um nicht einen Schrei maßlosen Erstaunens auszustoßen. Er hatte sich so umgewendet, dass ihn niemand außer mir sehen konnte. Seine Gestalt war voll geworden, die Runzeln waren verschwunden, die matten Augen hatten ihr Feuer wieder gewonnen – kurz, der Mann, der da am Feuer saß und sich an meiner Überraschung höchst belustigte, war niemand anders als Sherlock Holmes. Er gab mir einen Wink, mich ihm zu nähern, und als er das Gesicht den anderen wieder zuwandte, nahm es sofort wieder den Ausdruck schlaffen Alters an.
»Holmes!«, flüsterte ich. »Wie kommen Sie nur in dieses Loch?«
»So leise wie möglich«, antwortete er, »mein Gehör ist vorzüglich. Wenn Sie die Güte hätten, sich Ihres jammervollen Freundes dort zu entledigen, so wäre es mir sehr erwünscht, ein wenig mit Ihnen zu plaudern.«
»Draußen habe ich einen Wagen stehen.«
»Dann schicken Sie ihn doch nach Hause. Es ist keine Gefahr dabei, denn er fühlt sich zu schlaff und matt, um weiteres Unheil anzurichten. Auch möchte ich Ihnen empfehlen, Ihre Frau durch den Kutscher wissen zu lassen, dass wir etwas zusammen vorhaben. Wenn Sie so lange draußen warten wollen, so bin ich in fünf Minuten bei Ihnen.«
Sherlock Holmes etwas abzuschlagen war äußerst schwierig, denn er trug seine Bitten stets mit der größten Ruhe und Entschiedenheit vor. Zudem hatte ich das Gefühl, dass, sobald Whitney im Wagen säße, auch meine Verpflichtung gegen ihn zu Ende sei; und was konnte ich mir eigentlich Besseres wünschen als eines der wunderlichen Abenteuer mitmachen zu dürfen, wie sie meinem Freund zum Lebensbedürfnis geworden waren? In wenigen Minuten war der Zettel an meine Frau geschrieben, Whitneys Rechnung bezahlt, er selbst in den Wagen gesetzt und durchs Dunkel der Nacht davongefahren.
Kurz darauf stieg eine verkommene Gestalt aus der Opiumhöhle empor, und an meiner Seite schritt Sherlock Holmes. Zwei Straßenlängen weit schleppte er sich mühsam mit gebücktem Rücken und unsicherem Tritt vorwärts. Dann blickte er um sich, richtete sich auf und brach in ein herzliches Lachen aus.
»Und nun, Watson«, sagte er, »bilden Sie sich gewiss ein, dass nun auch noch das Opiumrauchen zu den Kokaineinspritzungen und all den anderen kleinen Schwächen gekommen ist, die mir die schätzenswerte Bekanntschaft mit Ihrer medizinischen Erfahrung nebenbei eingetragen hat.«
»Allerdings war ich überrascht, Sie hier zu sehen.«
»Und ich nicht minder Sie …«
»Ich suchte einen Freund.«
»Und ich einen Feind.«
»Einen Feind?«
»Ja, einen meiner natürlichen Feinde, oder, um es richtiger zu sagen, meine natürliche Beute. Mit einem Wort, Watson, ich stecke eben in einer ganz merkwürdigen Geschichte und hatte gehofft, in dem unzusammenhängenden Geschwätz dieser Kerle einen Schlüssel zu finden, wie mir das schon mehrfach geglückt ist. Wäre ich jedoch in diesem Loch erkannt worden, so wär’s um mich geschehen, denn ich habe es früher schon für meine Zwecke ausgebeutet, und der Malaie, der Schurke von einem Wirt, hat mir Rache geschworen. An der Rückseite des Gebäudes befindet sich eine Falltür, in der Nähe der Paulswerft, die könnte Schaudergeschichten erzählen von dem, was in mondlosen Nächten da schon hinabgestürzt ist.«
»Wieso? Sie meinen doch nicht etwa, dass Leichen …?«
»Jawohl, Leichen, Watson; wir wären reiche Leute, wenn wir für jeden armen Teufel, der dort auf ewig stumm gemacht worden ist, unsere tausend Pfund bekämen. Es ist die scheußlichste
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