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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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einen der schmalen Stege geraten, die den Flussdampfern zur Landung dienen. Der Leichnam trug keine Zeichen der Gewalttat, und so war der Verstorbene also offenbar das Opfer eines Unglücksfalles, durch den sich die Behörden veranlasst sehen sollten, ihre Aufmerksamkeit auf den Zustand der Landungsstellen am Fluss zu lenken.«
    Stumm saßen wir beisammen, Holmes war niedergedrückter, als ich ihn je gesehen.
    »Das verletzt meinen Stolz, Watson«, sagte er endlich. »Es mag ein kleinliches Gefühl sein, aber es verletzt meinen Stolz. Jetzt betrachte ich die Sache als meine persönliche Angelegenheit, und erhält mich Gott gesund, so soll mir diese Bande nicht entgehen. – Bei mir suchte er Hilfe, und ich, ich schicke ihn in den Tod!« Er sprang auf und rannte erregt im Zimmer hin und her; seine fahlen Wangen waren gerötet, und mit nervösem Zucken öffneten und schlossen sich seine langen, schmalen Hände.
    »Das müssen verschmitzte Teufel sein!«, rief er endlich aus. »Wie vermochten sie ihn dort hinunterzulocken? Der Landungsplatz liegt nicht auf dem direkten Weg zur Station. Gewiss war die Brücke, selbst in solcher Nacht, zu belebt für ihr Vorhaben. Aber, Watson, wir wollen sehen, wer von uns den Kürzeren zieht. Ich gehe jetzt aus.«
    »Zur Polizei?«
    »Nein. Ich will selbst meine Polizei sein. Die mag die Fliegen fangen, wenn ich das Netz gesponnen habe. Vorher nicht.«
    Den ganzen Tag hatte ich in meinem Beruf zu tun, und erst am späten Abend kam ich in die Baker Street zurück. Sherlock Holmes war noch nicht heimgekehrt. Kurz vor zehn trat er blass und müde ein. Er ging zum Büffet, brach ein Stück Brot ab, verschlang es gierig und spülte es mit einem Trunk Wasser hinunter.
    »Sie sind hungrig«, bemerkte ich.
    »Ganz ausgehungert. Ich habe noch gar nicht daran gedacht. Seit dem Frühstück habe ich nichts zu mir genommen.«
    »Nichts?«
    »Keinen Bissen. Mir fehlte die Zeit, daran zu denken.«
    »Und was haben Sie erreicht?«
    »Viel.«
    »Sind Sie den Spitzbuben auf der Spur?«
    »Ich halte die Kerle fest. Lange soll John Openshaw nicht auf Rache warten. Ihr eigenes Teufelszeichen wollen wir ihnen aufdrücken, Watson. Es ist gut ausgedacht!«
    »Was meinen Sie?«
    Er nahm eine Apfelsine aus dem Schrank, brach sie auseinander und drückte die Kerne heraus auf den Tisch. Fünf davon steckte er in einen Umschlag. Auf die Innenseite des Verschlusses schrieb er: ›S. H. für J. Oh.‹, dann siegelte er und adressierte an: ›Kapitän James Calhoun, Barke ›Lone Star‹, Savannah. Georgia.‹ »Das soll ihn bei der Einfahrt in den Hafen erwarten«, sagte er höhnisch. »Es mag ihm eine schlaflose Nacht bringen und wird ihm ein so sicherer Vorbote seines Geschickes sein, wie sein Brief für Openshaw gewesen ist.«
    »Wer ist dieser Kapitän Calhoun?«
    »Der Anführer der Rotte. Die anderen kriege ich nachher. Erst muss er dran.«
    »Wie kamen Sie ihm auf die Spur?«
    Holmes zog einen großen Bogen aus der Tasche, der mit Namen und Daten bedeckt war.
    »Den ganzen Tag durchsuchte ich Akten und Register des Lloyd und folgte dem Kurs aller Schiffe, die im Januar und Februar 1883 Pondicherry berührten. 36 Schiffe guter Löschung liefen während dieser Monate dort ein; unter diesen fesselte eines, die ›Lone Star‹, sofort meine Aufmerksamkeit. Nach dem Bericht wäre es nämlich von London ausgelaufen, während es in Wirklichkeit von einem amerikanischen Staat kommt.«
    »Wahrscheinlich aus Texas.«
    »Ich bin dessen nicht sicher, so viel aber steht fest, dass das Schiff amerikanischer Herkunft sein muss.«
    »Was weiter?«
    »Ich forschte dann in den Berichten von Dundee nach, und als ich fand, dass die ›Lone Star‹ im Januar 1885 dort lag, wurde mein Verdacht zur Gewissheit. Ich erkundigte mich nach den Schiffen, die jetzt im Hafen von London sind. Die ›Lone Star‹ war vorige Woche hier angekommen. – Ich ging zum Albert Dock und erfuhr, das Schiff sei mit der Morgenflut ausgelaufen und auf dem Heimweg nach Savannah begriffen. Ich telegrafierte nach Gravesend. Es war bereits vorübergesegelt; der Wind weht von Ost, also muss es unbedingt über die Sandbank von Godwin hinaus sein und nicht weit von der Insel Wight.«
    »Und nun?«
    »Nun halte ich ihn unter dem Daumen. Nur er und zwei Matrosen an Bord sind geborene Amerikaner; die übrigen sind Deutsche und Finnländer. Auch erfuhr ich, dass sie vorige Nacht alle drei nicht auf dem Schiff waren. Der Stauer, der die Ladung löschte, hat es mir

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