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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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Mensch mit grauem Haar und Bart und riecht beständig nach geistigen Getränken. Zweimal schon, seit ich da bin, war er gänzlich betrunken, und doch schien Mr Rucastle sich nichts daraus zu machen. Seine Frau ist eine sehr große, starke Person mit mürrischem Gesicht, so schweigsam wie ihre Herrin, nur weit weniger liebenswürdig. Die beiden sind ein höchst unangenehmes Paar, allein glücklicherweise komme ich wenig mit ihnen in Berührung, denn ich bringe meine Zeit meist in der Kinderstube und in meinem eigenen Zimmer zu, welche ganz nahe beisammen in einem Flügel des Gebäudes liegen.
    Die ersten zwei Tage nach meiner Ankunft in Copper Beeches ist mein Leben sehr ruhig verlaufen. Am dritten jedoch kam Mrs Rucastle gleich nach dem Frühstück herunter und flüsterte ihrem Gatten etwas zu.
    ›Oh ja‹, sagte dieser darauf, sich zu mir wendend; ›wir sind Ihnen sehr verbunden, Miss Hunter, dass Sie auf unsern Wunsch eingegangen sind und sich Ihr Haar abgeschnitten haben. Ich versichere Ihnen, es hat Ihrer Erscheinung nicht im mindesten Eintrag getan. Jetzt wollen wir sehen, wie Ihnen das blaue Kleid steht. Es liegt auf Ihrem Bett, und wenn Sie es anziehen wollten, so würden wir Ihnen beide sehr dankbar sein.‹
    Das Kleid, das für mich bereitlag, hatte einen ganz eigentümlichen blauen Farbenton, der Stoff war ausgezeichnet, eine Art beige, doch verrieten unverkennbare Spuren, dass es früher schon getragen worden war. Es passte, wie wenn mein Maß dazu genommen worden wäre. Als sich Mr und Mrs Rucastle hiervon überzeugten, legten beide ein Entzücken an den Tag, das mir ganz unnatürlich übertrieben vorkam. Sie warteten im Wohnzimmer auf mich, einem sehr großen Raum, der die ganze Front des Hauses einnimmt und dessen drei hohe Fenster bis auf den Boden herabreichen. Am Mittelfenster, und zwar mit der Lehne dagegen, stand ein Stuhl. Auf diesen Stuhl musste ich mich setzen, während Mr Rucastle vor mir im Zimmer auf- und abging und dabei eine ganze Reihe der tollsten Geschichten zum Besten gab, die ich je gehört habe. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie komisch das war; ich wurde schließlich ganz müde vor lauter Lachen. Mrs Rucastle dagegen, die offenbar keinen Sinn für Humor besitzt, verzog den Mund nicht zum leisesten Lächeln, sondern saß, die Hände im Schoß, mit trauriger, ängstlicher Miene da. Nach einer Stunde ungefähr bemerkte Mr Rucastle plötzlich, es sei jetzt Zeit, an die täglichen Beschäftigungen zu gehen, ich könne mich wieder umkleiden und zu dem kleinen Edward ins Kinderzimmer begeben.
    Zwei Tage darauf wiederholte sich dieser ganze Vorgang unter völlig ähnlichen Umständen. Wieder musste ich das andere Kleid anziehen, wieder mich ans Fenster setzen, und abermals lachte ich aus vollem Hals über Mr Rucastles tolle Geschichten, von denen er einen unerschöpflichen Vorrat besitzt und die er unnachahmlich vorträgt. Darauf gab er mir ein Buch in die Hand, rückte meinen Stuhl ein wenig zur Seite, damit mein Schatten nicht auf das Buch falle, und bat mich, ihm aus demselben laut vorzulesen. Ich musste irgendwo im Kapitel anfangen und las etwa zehn Minuten lang, bis er mich plötzlich mitten in einem Satz aufhören ließ und mir sagte, ich solle mich wieder umkleiden. Sie können sich denken, Mr Holmes, wie groß meine Neugier war, die Bedeutung dieser merkwürdigen Komödie zu erfahren. Soviel ich bemerkt hatte, waren beide Ehegatten stets eifrig bestrebt, meine Blicke vom Fenster abzuhalten; ich verging deshalb förmlich vor Begierde, zu sehen, was hinter meinem Rücken vorgehe. Zuerst kam mir dies unmöglich vor, allein bald verfiel ich auf ein Mittel. Mein Handspiegel war zerbrochen, und so kam mir der glückliche Einfall, ein Stück von dem Glas in meinem Taschentuch zu verstecken. Das nächste Mal hielt ich mir dieses beim Lachen vor die Augen und war nun mit einiger Geschicklichkeit imstande, alles hinter mir Befindliche zu sehen. Ich muss gestehen, ich war enttäuscht, denn ich bemerkte gar nichts. Wenigstens war dies mein erster Eindruck. Beim zweiten Blick jedoch sah ich einen Mann auf der Landstraße stehen, einen kleinen, bärtigen, grau gekleideten Mann, der nach mir herüberzuschauen schien. Da es eine Hauptverkehrsstraße ist, sieht man meist Leute auf derselben. Dieser Mann jedoch stand an den Zaun gelehnt, der das Grundstück umgibt, und schaute angelegentlich nach dem Fenster. Ich nahm mein Taschentuch vom Gesicht und blickte Mrs Rucastle an; ihre Augen

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