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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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waren mit forschendem Blick auf mich gerichtet. Sie sagte nichts, aber ich bin fest überzeugt, sie hatte erraten, dass ich einen Spiegel in der Hand hielt und gesehen hatte, was hinter mir vorging. Mit einem Mal stand sie auf.
    ›Jephro‹, sagte sie, ›da steht ein unverschämter Kerl auf der Straße, der zu Miss Hunter heraufschaut.‹
    ›Doch nicht etwa ein Bekannter von Ihnen, Miss Hunter?‹, fragte er.
    ›Nein, ich kenne niemand hier in der Gegend.‹
    ›Nein, welche Frechheit! Bitte wenden Sie sich doch um und winken Sie ihm zu, er solle fortgehen.‹
    ›Es wäre gewiss besser, die Sache unbeachtet zu lassen.‹
    ›Nein, nein; wir würden ihn sonst immerfort hier herumlungern sehen. Bitte drehen Sie sich um und winken Sie ihm ab.‹
    Ich tat es, und im selben Augenblick ließ Mr Rucastle das Rouleau herab. Dies war vor einer Woche, und seither habe ich nicht mehr am Fenster sitzen und das blaue Kleid nicht mehr anziehen müssen, habe auch den Mann auf der Straße nicht mehr gesehen.«
    »Bitte, fahren Sie fort«, bemerkte Holmes, »Ihre Erzählung verspricht, höchst interessant zu werden.«
    »Ich fürchte, sie ist recht unzusammenhängend; es kann wohl sein, dass die verschiedenen Vorfälle, auf welche ich jetzt zu sprechen komme, sehr wenig miteinander zu tun haben. Gleich am allerersten Tag führte mich Mr Rucastle an ein kleines Häuschen, das neben dem Eingang zur Küche steht. Beim Hinzutreten vernahm ich das scharfe Rasseln einer Kette und ein Geräusch, wie wenn ein großes Tier sich darin herumbewegte.
    ›Da, schauen Sie hinein‹, sagte Mr Rucastle und zeigte mir eine Ritze zwischen zwei Planken. ›Ist es nicht ein Prachtexemplar?‹
    Ich blickte hindurch und begegnete zwei glühenden Augen und einer Gestalt, die in unbestimmten Umrissen aus der Finsternis heraustrat.
    ›Haben Sie keine Angst‹, beruhigte mich mein Begleiter lachend, als er meine Gebärde des Schreckens sah, ›es ist nur Carlo, der Kettenhund. Er gehört wohl mir, aber in Wirklichkeit ist der alte Toller, mein Bedienter, der einzige, der etwas mit ihm machen darf. Er bekommt nur einmal am Tag zu fressen und auch da nicht zu viel, sodass er jederzeit scharf ist wie Gift. Jede Nacht lässt Toller ihn los, und Gott sei dem Eindringling gnädig, der ihm zwischen die Zähne gerät. Setzen Sie um des Himmels willen nachts niemals unter irgendeinem Vorwand den Fuß über Ihre Schwelle, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.‹
    Diese Warnung war auch sehr am Platz. In der übernächsten Nacht schaute ich zufällig etwa um zwei Uhr morgens aus meinem Schlafzimmerfenster. Es war eine schöne Mondnacht, und der Rasenplatz vor dem Haus strahlte fast taghell in Silberglanz. Gebannt von der friedlichen Schönheit dieses Bildes, stand ich da, als ich gewahr wurde, dass sich im Schatten der Blutbuchen etwas regte. Als es in den Mondschein heraustrat, sah ich, was es war: ein riesiger Hund, so groß wie ein Kalb, von braungelber Farbe, mit hängenden Backen, schwarzer Schnauze und gewaltigen, weit vorstehenden Knochen. Er schlich langsam über den Rasen und verschwand dann wieder auf der anderen Seite in der Dunkelheit. Ich glaube, kein Einbrecher wäre imstande gewesen, mir einen solchen Todesschrecken einzujagen wie dieser furchtbare stumme Wächter.
    Und nun habe ich Ihnen noch eine ganz merkwürdige Entdeckung mitzuteilen. Ich hatte mir, wie Sie wissen, in London mein Haar abschneiden lassen und verwahrte es, zu einem großen Knäuel zusammengerollt, unten in meinem Koffer. Eines Abends, nachdem das Kind zu Bett war, begann ich zum Zeitvertreib die Einrichtung meines Zimmers zu mustern und meine wenigen Habseligkeiten aufzuräumen. In meinem Zimmer stand eine alte Kommode, deren zwei oberste Schubfächer offen waren, während ich das unterste verschlossen fand. Nachdem ich die beiden oberen mit meinem Weißzeug angefüllt hatte, war sonst noch gar vieles unterzubringen, und so verdross es mich natürlich sehr, dass ich das dritte nicht auch zur Verfügung hatte. Ich nahm an, dieses sei vielleicht lediglich aus Versehen verschlossen worden, deshalb zog ich mein Schlüsselbund heraus und versuchte, es zu öffnen. Gleich der erste Schlüssel passte, und so zog ich die Schublade auf. Es war nur ein einziger Gegenstand darinnen, aber was für einer würden Sie ganz gewiss niemals erraten. Es war mein Haarzopf.
    Ich nahm denselben heraus, um ihn zu besichtigen. Die Haare hatten ganz genau die eigentümliche Farbe und die Stärke meiner eigenen.

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