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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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Aber dann drängte sich mir wieder die Unmöglichkeit der Sache auf. Wie konnten denn meine Haare in diese verschlossene Schublade kommen? Mit zitternden Händen öffnete ich meinen Koffer, räumte ihn aus und zog zu unterst meinen Zopf hervor. Ich legte die beiden Zöpfe nebeneinander, und ich gebe Ihnen die Versicherung, sie waren vollkommen gleich. War das nicht merkwürdig? Ich mochte mir den Kopf zerbrechen, wie ich wollte, die Sache blieb mir ein völliges Rätsel. Ich legte den fremden Zopf wieder in die Schublade, ohne Mr Rucastle und seiner Frau gegenüber etwas von der Sache zu erwähnen, denn ich fühlte wohl, dass es nicht recht von mir gewesen war, eine Schublade zu öffnen, die sie verschlossen hatten. Ich bin von Natur eine scharfe Beobachterin, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, Mr Holmes, und hatte bald einen ziemlich genauen Plan des ganzen Gebäudes im Kopf. Ein Flügel desselben schien völlig unbewohnt zu sein. Eine Tür, dem Eingang zur Behausung des Tollerschen Ehepaares gegenüber, führte zu diesem Flügel, allein sie war stets verschlossen. Eines Tages jedoch stieß ich auf der Treppe auf Mr Rucastle, wie er, seine Schlüssel in der Hand, aus dieser Tür herauskam, und zwar mit einem so veränderten Ausdruck, dass ich den sonst so behäbigen, gemütlichen Mann kaum wiedererkannte. Seine Wangen waren gerötet, seine Brauen zornig gerunzelt, und in der Erregung traten ihm die Adern an den Schläfen weit hervor. Er verschloss die Tür und eilte hinter mir die Treppe herauf, ohne ein Wort oder einen Blick an mich zu richten.
    Dies erregte meine Neugier, und ich richtete deshalb den nächsten Spaziergang, den ich mit dem Kleinen machte, so ein, dass ich dabei die Fenster an diesem Teil des Hauses im Auge hatte. Es waren vier in einer Reihe, drei davon ganz mit Staub überzogen, während an dem vierten der Laden geschlossen war. Offenbar waren die Räume, zu denen sie gehörten, sämtlich unbewohnt. Während ich auf- und abschlenderte und dabei gelegentlich einen Blick nach den Fenstern warf, kam Mr Rucastle zu mir heraus; seine Züge zeigten jetzt wieder ganz den heiteren, gemütlichen Ausdruck wie immer.
    ›Ach‹, redete er mich an, ›Sie müssen mich nicht für rücksichtslos halten, weil ich ohne ein Wort an Ihnen vorübergeeilt bin, mein liebes Fräulein. Ich hatte den Kopf voll Geschäftssachen.‹
    Ich gab ihm die Versicherung, dass ich es ihm nicht übel genommen habe.
    ›Sie scheinen da oben eine ganze Reihe überzähliger Zimmer zu haben‹, fuhr ich fort, ›und an einem ist der Laden geschlossen.‹
    Er sah überrascht und, wie es mir vorkam, etwas verdutzt aus über meine Bemerkung. ›Ich bin Fotograf aus Liebhaberei‹, sagte er, ›und habe da oben meine Dunkelkammer eingerichtet. Aber du meine Güte, an was für eine Beobachterin wir geraten sind! Wer hätte das geglaubt; wer hätte das für möglich gehalten?‹ Seine Worte klangen scherzhaft, aber in dem Blick, den er dabei auf mich richtete, lag kein Scherz. Ich las darin wohl Argwohn und Ärger, aber nichts Spaßhaftes.
    Sehen Sie, Mr Holmes, von dem Augenblick an, als mir klar wurde, dass es mit diesen Zimmern etwas auf sich habe, wovon ich nichts wissen sollte, brannte ich vor Begierde, hinter die Sache zu kommen. Es war mehr als bloße Neugier, obwohl ich auch davon mein gutes Teil besitze. Es war mehr ein Pflichtgefühl, die Empfindung, dass es zum Guten dienen werde, wenn ich mir in diese Räume Eingang verschaffe. Man spricht von weiblichem Instinkt; vielleicht war es dieser, der mir das Gefühl einflößte. Ich spähte nun emsig nach einer Gelegenheit zum Überschreiten der verbotenen Schwelle.
    Beiläufig bemerkt, haben außer Mr Rucastle auch Toller und seine Frau gelegentlich in den unbewohnten Räumen zu schaffen; einmal sah ich die beiden zusammen ein großes Bündel schwarzer Wäsche durch die Tür tragen. In den letzten Tagen trank Toller stark, sodass er gestern völlig betrunken war, und als ich die Treppe heraufkam, steckte der Schlüssel an der fraglichen Tür. Ganz sicher hatte er ihn stecken lassen. Mr Rucastle und seine Frau waren mit dem Kind unten, und so bot sich mir die allerschönste Gelegenheit, mein Vorhaben auszuführen. Sachte drehte ich den Schlüssel im Schloss um, öffnete die Tür und schlüpfte hindurch.
    Vor mir lag ein kurzer Gang, der sich am oberen Ende rechtwinklig fortsetzte. Um die Ecke befanden sich drei Türen in einer Reihe, von denen die erste und die dritte offen waren.

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