Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
Vom Netzwerk:
und an den Schaltern drängten, nach der kleinen Gestalt meines Freundes. Nirgends war eine Spur von ihm zu sehen. Ein paar Minuten verbrachte ich damit, einem ehrwürdigen italienischen Priester meinen Beistand zu leihen, der in seinem gebrochenen Englisch sich bemühte, einem Gepäckträger klarzumachen, dass sein Gepäck direkt nach Paris eingeschrieben werden solle. Hierauf schaute ich mich noch einmal rings um und ging dann wieder zu meinem Wagen zurück, wo ich fand, dass der Schaffner im Widerspruch mit meiner Fahrkarte mir meinen gebrechlichen italienischen Freund zum Reisegefährten gegeben hatte. Vergebens suchte ich ihm verständlich zu machen, dass er nicht hier herein gehöre, denn mein Italienisch war noch näher beisammen als sein Englisch; so fügte ich mich eben schließlich achselzuckend in die Sachlage und schaute aufs Neue voll Unruhe nach meinem Freund aus. Es überlief mich kalt bei dem Gedanken, sein Ausbleiben könnte in einem während der Nacht gegen ihn geführten Streich seinen Grund haben. Schon waren sämtliche Türen geschlossen und das Zeichen zur Abfahrt gegeben, als ich plötzlich die Worte vernahm: »Mein lieber Watson, Sie haben ja noch nicht einmal geruht, mir Guten Morgen zu wünschen.« Vor Überraschung fuhr ich unwillkürlich herum. Der alte, grässliche Herr hatte mir sein Gesicht zugewendet. Auf einen Augenblick glätteten sich die Runzeln, die Nase entfernte sich vom Kinn, die Unterlippe schob sich nicht mehr vor, und der Mund stellte seine murmelnde Bewegung ein; die trüben Augen gewannen ihr Feuer wieder, und die gebückte Gestalt richtete sich auf. Im nächsten Augenblick jedoch sank diese aufs Neue in sich zusammen, und mein Freund war ebenso plötzlich wieder verschwunden, als er zuvor erschienen war.
    »Guter Himmel«, rief ich, »haben Sie mich erschreckt!«
    »Es bedarf noch immer der größten Vorsicht«, flüsterte er dagegen. »Ich habe Grund anzunehmen, dass sie uns scharf auf den Fersen sind. Ha, da ist Moriarty selber!« Der Zug hatte sich bei Holmes’ letzten Worten bereits in Bewegung gesetzt. Ich blickte zurück und sah noch, wie ein hochgewachsener Mann wütend durch das Gedränge stürmte und mit der Hand winkte, als wollte er den Zug anhalten lassen. Es war jedoch bereits zu spät, denn wir kamen schon in vollen Lauf und hatten im nächsten Augenblick den Bahnhof hinter uns.
    »Unsere Maßnahmen haben, wie Sie sehen, ihren Zweck doch ganz hübsch erreicht«, meinte Holmes nun lachend. Er stand auf, warf seine Verkleidung ab und steckte Talar und Hut in einen Reisesack. »Haben Sie schon ins Morgenblatt geblickt?«, fuhr er dann fort.
    »Nein.«
    »Dann haben Sie also nichts von der Baker Street gelesen?«
    »Baker Street?«
    »Man hat heute Nacht Feuer an meine Wohnung gelegt; es hat übrigens nicht viel Schaden angerichtet.«
    »Um des Himmels willen, Holmes, das ist ja nicht mehr auszuhalten!«
    »Nachdem ich den Kerl mit dem Knüttel habe festnehmen lassen, müssen sie meine Spur völlig verloren haben. Sonst hätten sie sich unmöglich einbilden können, dass ich wieder in meine Wohnung zurückgegangen sei. Dagegen haben sie offenbar nicht versäumt, Sie zu überwachen, sonst wäre Moriarty nicht zur Victoria Station gekommen. Könnte Ihnen nicht auf Ihrem Weg dahin irgendein Versehen begegnet sein?«
    »Ich habe mich strengstens an Ihre Weisungen gehalten.«
    »Haben Sie an den Arkaden den Wagen gefunden?«
    »Jawohl, er stand schon da, wie ich kam.«
    »Haben Sie den Kutscher erkannt?«
    »Nein.«
    »Es war mein Bruder Mycroft. Es ist viel wert, wenn man in einem solchen Fall nicht nötig hat, einen Mietling ins Vertrauen zu ziehen. Aber wir müssen nun ausmachen, was wir wegen Moriarty tun wollen.«
    »Wir haben ja einen Expresszug mit Anschluss an das Dampfboot, damit werden wir ihn doch wohl endgültig losgeworden sein!«
    »Mein lieber Watson, Sie haben offenbar die Tragweite meiner Bemerkung nicht erfasst, dass man diesen Mann in geistiger Beziehung füglich auf eine Linie mit mir stellen dürfe. Sie bilden sich doch nicht ein, dass ich mich bei der Verfolgung meines Gegners durch ein so geringfügiges Hindernis lahmlegen lassen würde. Warum sollten Sie nun so gering von ihm denken?«
    »Was wird er aber tun?«
    »Was ich auch tun würde.«
    »Und was wäre das?«
    »Einen Sonderzug nehmen.«
    »Der käme aber doch zu spät.«
    »Keineswegs. Unser Zug hält in Canterbury, und am Dampfboot gibt es einen Aufenthalt von mindestens einer halben

Weitere Kostenlose Bücher