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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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bogen dann in Leuk ab und gingen nun über den noch tief verschneiten Gemmipass nach Interlaken und weiter nach Meiringen. Es war allerliebst, unten das zarte Frühlingsgrün, oben das jungfräuliche Weiß des Winters, aber ich sah sehr wohl, dass Holmes trotzdem nicht einen Augenblick den Schatten vergaß, der über ihm schwebte. In den heimlichen Alpendörfern wie auf den lieblichen Gebirgspfaden verriet sein unruhiger Blick und die Genauigkeit, mit der er die Züge eines jeden uns Begegnenden prüfte, seine unerschütterliche Überzeugung, dass wir, wohin wir gingen, uns doch niemals der Gefahr zu entziehen vermochten, die sich an unsere Spuren heftete.
    So erinnere ich mich, dass, während wir auf unserem Weg über den Gemmipass am Ufer des düsteren Daubensees hinschritten, ein großes Felsstück, das sich von dem Abhang abgelöst hatte, mit lautem Krachen herab- und dröhnend hinter uns in den See stürzte. In einem Augenblick war Holmes den Abhang hinaufgestürmt, wo er auf einer luftigen Felszacke stehend, den Hals nach allen Seiten reckte. Vergebens versicherte ihm unser Führer, dass Felsstürze zur Frühlingszeit in dieser Gegend etwas ganz Gewöhnliches seien. Er sagte nichts, aber er lächelte mir zu, als wollte er mir damit andeuten, etwas dergleichen habe er längst erwartet.
    Und doch war er trotz all seiner Wachsamkeit niemals niedergeschlagen, im Gegenteil, ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals in solch überschäumender Laune gesehen zu haben. Immer und immer kam er wieder darauf zurück, wie gerne er seine Laufbahn zum Abschluss bringen würde, dürfte er sicher sein, die Menschheit von Moriarty befreit zu haben.
    »Ich glaube, ich darf wohl sagen, Watson, ich habe nicht ganz umsonst gelebt«, bemerkte er dabei. »Fände meine Tätigkeit noch heute Abend ihren Abschluss, ich hätte nichts dagegen. Mein Aufenthalt in London würde dadurch an Annehmlichkeit für mich nur gewinnen. In den mehr als tausend Fällen, die mich beschäftigt haben, bin ich mir nicht bewusst, auch nur ein einziges Mal meine Fähigkeit in den Dienst des Unrechtes gestellt zu haben. Seit einiger Zeit fühle ich mich mehr von den Problemen angezogen, die uns die Natur selbst aufgibt, als von den weit oberflächlicheren Aufgaben, die sich aus unseren unnatürlichen gesellschaftlichen Zuständen ergeben. An dem Tag, wo mir schließlich noch der Triumph zuteil wird, durch meine Tätigkeit die Gefangennahme oder die Vernichtung des gefährlichsten Verbrechergenies der ganzen gesitteten Welt erreicht zu haben, können Sie die Feder aus der Hand legen, Watson.«
    Das Wenige, was mir noch zu sagen bleibt, will ich in Kürze und doch genau zu berichten suchen.
    Am 3. Mai erreichten wir das Dorf Meiringen, wo wir im Englischen Hof abstiegen. Der Wirt, Peter Steiler der Ältere, war ein verständiger Mann, der auch vortrefflich Englisch sprach. Auf seinen Rat brachen wir am 4. zusammen auf, um über die Höhen zum Weiler Rosenlaui zu gehen, wo wir übernachten wollten. Er hatte uns übrigens strengstens eingeschärft, hierbei den erforderlichen kleinen Umweg nicht zu scheuen, um die auf halber Höhe liegenden Reichenbachfälle zu besichtigen. Diese machen mit ihrer Umgebung einen wirklich grauenerregenden Eindruck. Der Bach, durch die schmelzenden Schneemassen geschwellt, stürzt in einen furchtbaren Abgrund, aus dem der Schaum emporwirbelt, wie der Rauch aus einem brennenden Haus.
    Die ungeheure, von glänzenden, kohlschwarzen Felsen umsäumte Kluft, in welche die Wasser hinabstürzen, verengt sich schließlich zu einem brodelnden Kessel von unberechenbarer Tiefe, über dessen gezackten Rand der Strom dann weiter zu Tal schießt. Man wird schwindelig von dem unablässigen Donnergetöse der riesigen weißen Wassersäule und von der ewigen Wirbelbewegung des aufspritzenden, flackernden Gischtes, der sich gleich einem dichten Vorhang aus der Tiefe emporzieht. Ganz außen am Rand schauten wir den Wassern zu, wie sie sich in sprühendem Glanz tief unten an den schwarzen Felsen brachen, und lauschten den Tönen, die – einem menschlichen Jauchzen vergleichbar – mit dem aufspritzenden Gischt aus der Schlucht heraufschallten.
    Auf der einen Seite ist um den Fall herum ein Pfad gehauen, um eine vollständige Ansicht des ersteren zu ermöglichen, allein derselbe hört plötzlich auf, sodass man auf demselben Weg wieder umkehren muss. In dem Augenblick, wo wir uns an dieser Stelle wieder zurückwandten, erblickten wir einen jungen Burschen

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