Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Herefordshire gelegen. Der größte Landbesitzer dort ist ein Mr John Turner, der in Australien reich wurde und vor Jahren in die alte Heimat zurückkehrte. Eines seiner Güter, es heißt Hatherley, war an Mr Charles McCarthy verpachtet – gleichfalls ein ehemaliger Australier. Die beiden Männer hatten sich in den Kolonien kennengelernt, und so war es begreiflich, dass sie sich möglichst nahe beisammen niederließen. Turner war offenbar der reichere von beiden, deshalb wurde McCarthy sein Pächter, was ihn jedoch nicht abgehalten zu haben scheint, auf völlig gleichem Fuß mit jenem zu verkehren. McCarthy hatte einen Sohn von achtzehn Jahren, Turner eine Tochter in gleichem Alter, und beide waren Witwer. Sie scheinen jeden Verkehr mit den englischen Familien der Umgegend gemieden zu haben und lebten sehr zurückgezogen, obwohl Vater und Sohn McCarthy den Sport liebten und sich oft bei den Pferderennen der Nachbarschaft einfanden. McCarthy hielt zwei Dienstboten, einen Diener und eine Köchin, während Turner deren weit mehr, wenigstens ein halbes Dutzend, im Haus hatte. Das ist so ziemlich alles, was ich über die Familien zu erfahren vermochte. Und nun zu den Tatsachen, die mit dem Verbrechen selbst zusammenhängen.
Am 3. Juni – also vorigen Montag – verließ McCarthy sein Haus in Hatherley, ungefähr um 3 Uhr nachmittags, und ging hinab zum Boscombe-Teich, einem kleinen See, der durch die plötzliche Verbreiterung des Flusses unten im Tal entsteht. Am Morgen war er mit seinem Diener in Ross gewesen und hatte sich diesem gegenüber geäußert, er müsse sich beeilen, weil er um 3 Uhr eine wichtige Besprechung verabredet habe; von dieser kehrte er nicht mehr lebendig zurück.
Das Pachthaus Hatherley liegt eine Viertelmeile vom Teich entfernt, und auf dem Weg dahin wurde McCarthy von zwei Personen gesehen: von einer alten Frau, deren Name nicht genannt wird, und von William Crowder, einem Wildhüter im Dienst Mr Turners. Beide Zeugen sagen aus, dass McCarthy allein ging. Der Wildhüter fügt hinzu, er sei, wenige Minuten nachdem McCarthy vorübergegangen, auch dessen Sohn, John McCarthy, mit einer Flinte unterm Arm, auf demselben Weg begegnet, und er glaubt gewiss, der Vater müsse noch in Sicht gewesen sein, als ihm der Sohn folgte. Er habe nicht weiter an die Sache gedacht, bis er abends von dem schrecklichen Ereignis hörte.
Auch noch später wurden die beiden McCarthys gesehen, nachdem sie der Wildhüter aus den Augen verloren hatte. Der Boscombe-Teich ist rings von dichtem Wald umgeben, nur hart am Ufer wächst ein Streifen Gras und Rohr. Patience Moran, die Tochter des Gutsaufsehers von Boscombe, war gerade im Wald, um Blumen zu pflücken. Sie sagt aus, dass sie von dort Mr McCarthy und seinen Sohn dicht am Teich in augenscheinlich heftigem Streit gesehen habe; sie hörte, wie der Vater dem Sohn sehr harte Worte zurief, und sah auch, dass letzterer die Hand erhob, als wolle er den Vater schlagen. Über die Heftigkeit der beiden Männer erschrocken, rannte das junge Mädchen nach Hause, erzählte der Mutter, was sie bei dem Boscombe-Teich gesehen, und äußerte ihre Befürchtung, die beiden könnten zu Tätlichkeiten übergehen. Kaum hatte sie dies gesprochen, stürzte auch schon der junge McCarthy herbei. Er rief, er habe seinen Vater tot im Wald gefunden, und bat den Aufseher um Hilfe. Er war sehr aufgeregt, trug weder Hut noch Gewehr, und an seiner rechten Hand und am rechten Ärmel waren Blutspuren sichtbar. Die Leute folgten dem jungen Mann und fanden die Leiche des Vaters im Gras neben dem Teich ausgestreckt. Der Schädel war durch wiederholte Schläge mit einer stumpfen Waffe eingeschlagen worden. Die Verletzungen konnten sehr wohl vom Flintenkolben des Sohnes herrühren; die Flinte lag nur wenige Schritte von der Leiche entfernt im Gras. Unter diesen Umständen wurde der junge Mann sofort verhaftet, und da nach der Voruntersuchung am Dienstag die Anklage auf ›vorsätzliche Tötung‹ lautete, wurde er am Mittwoch der Staatsanwaltschaft von Ross zugeführt, die den Fall vor die nächste Schwurgerichtssession bringen wird. Das ist der einfache Hergang, wie er sich vor dem Untersuchungsrichter und auf dem Polizeiamt herausgestellt hat.«
»Ich kann mir kaum einen Fall denken«, bemerkte ich, »wo alle Umstände so bestimmt auf den Täter hinweisen wie hier.«
»Mit diesen Indizienbeweisen steht es oft misslich«, meinte Holmes nachdenklich. »Oft weisen sie sehr deutlich auf einen bestimmten
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