Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
Vom Netzwerk:
Punkt hin, verändert man aber den eigenen Standpunkt nur ein klein wenig, ergibt sich leicht, dass sie in ebenso unzweideutiger Weise ganz woanders hinzielen. Hier freilich treten die Tatsachen sehr ernst gegen den jungen Mann auf, und es ist wohl möglich, dass er der Schuldige ist. Jedoch glauben einige in der Nachbarschaft – unter diesen auch Miss Turner, die Tochter des benachbarten Gutsherrn – an seine Unschuld; sie hat Lestrade, den Sie aus einer anderen Geschichte kennen, gebeten, den jungen Mann zu verteidigen. Lestrade, dem die Sache etwas rätselhaft erschien, übertrug sie mir, und darum fahren wir zwei gesetzte Herren jetzt eben mit dem Schnellzug nach Westen statt behaglich daheim unser Frühstück zu verdauen.«
    »Ich fürchte, die Tatsachen sprechen hier so unverkennbar, dass für Sie bei dieser Geschichte wenig Ruhm zu holen ist.«
    »Nichts täuscht leichter als eine ›unverkennbare Tatsache‹«, erwiderte Holmes lachend. »Außerdem haben wir vielleicht Glück und stoßen auf eine andere ›unverkennbare Tatsache‹, die Mr Lestrade trotzdem verkannte. Nun – ohne ruhmredig sein zu wollen, was ich nicht bin, wie Sie wissen – möchte ich doch behaupten, dass ich seine Theorie entweder bestätigen oder zunichte machen werde durch Mittel, zu deren Anwendung er nicht fähig ist und die er vielleicht nicht einmal begreift. Nehmen wir einmal das erste beste Beispiel: Ich weiß genau, wenn ich Sie ansehe, dass das Fenster in Ihrem Schlafzimmer auf der rechten Seite liegt, und doch bezweifle ich, ob Mr Lestrade selbst etwas so Unverkennbares bemerken würde.«
    »Wie in aller Welt …?«
    »Mein lieber Freund, ich kenne Sie genau, kenne Ihre ganz militärische Pünktlichkeit. Sie rasieren sich jeden Morgen, und zu dieser Jahreszeit rasieren Sie sich bei Tageslicht; da aber Ihre Rasur immer mangelhafter wird, je weiter es nach links kommt, ja an der Rundung der Kinnlade geradezu nachlässig ist, muss offenbar die linke Seite nicht so hell beleuchtet sein wie die rechte. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass ein Mann wie Sie mit einem solchen Ergebnis zufrieden wäre, wenn er sich in gleichmäßigem Licht rasierte. Ich erwähne dies nur als ein geringfügiges Beispiel von Beobachtung und Folgerung. Darin eben liegt mein Handwerk, und möglicherweise wird es in der uns bevorstehenden Untersuchung von einigem Nutzen sein. Es sind einige nebensächliche Punkte in der Voruntersuchung zur Sprache gekommen, die der Betrachtung wert sind.«
    »Und diese wären?«
    »Wie es scheint, wurde der junge Mann nicht sofort verhaftet, sondern erst nach seiner Rückkehr im Pachthof von Hatherley. Als ihm seine Verhaftung angezeigt wurde, meinte er, das überrasche ihn nicht, er habe nichts anderes erwartet. Diese Bemerkung aus seinem Munde musste selbstverständlich jeden Zweifel, den die Gerichtsleute noch hegen konnten, beseitigen.«
    »Es war ein Geständnis«, rief ich aus.
    »Nein, denn es folgten ihm Unschuldsbeteuerungen.«
    »Zum Schluss einer solchen Reihe belastender Umstände war es wenigstens eine höchst verdächtige Bemerkung.«
    »Im Gegenteil, Watson; für den Augenblick sehe ich es als den hellsten Lichtpunkt an, der die finsteren Wolken durchbricht. Wenn er noch so unschuldig ist, müsste er doch ein arger Dummkopf sein, um nicht einzusehen, wie schwer alles gegen ihn zeugt. Hätte er bei der Verhaftung Überraschung gezeigt oder Entrüstung geheuchelt, wäre mir das höchst verdächtig erschienen, denn diese Empfindungen wären nach Lage der Sache unnatürlich gewesen, konnten aber doch dem Verbrecher als das Klügste erscheinen. Das offene Auftreten des Sohnes kennzeichnet entweder seine Unschuld oder seine große Festigkeit und Selbstbeherrschung. Was nun jene Äußerung betrifft, er habe nichts anderes erwartet, so war auch sie nicht unnatürlich, wenn Sie bedenken, dass er vor dem entseelten Körper seines Vaters stand und dass er zweifellos an jenem Tag seine kindliche Pflicht so weit vergessen hatte, um mit seinem Vater in Streit zu geraten, ja sogar – nach der so wichtigen Aussage des jungen Mädchens – die Hand wie zum Schlag wider ihn zu erheben. Der Selbstvorwurf und die Reue, die in seiner Bemerkung liegen, scheinen mir eher auf eine reine als auf eine schuldige Seele zu deuten.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Gar mancher wurde auf schwächere Beweisgründe hin gehenkt.«
    »So ist’s – und gar mancher wurde unschuldig gehenkt.«
    »Was sagt der junge Mann selbst über die Sache

Weitere Kostenlose Bücher