Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Bart unterscheiden. Als er auf Charlingtoner Gebiet kam, sprang er von seiner Maschine ab, schob sie durch eine Lücke im Zaun und entschwand meinen Blicken.
Nach einer Viertelstunde tauchte wieder ein Radfahrer auf. Ich merkte bald, dass es unsere junge Dame war, die vom Bahnhof kam. Ich sah, wie sie sich umschaute, als sie den Wald erreichte. Im nächsten Moment stürzte der Mann aus seinem Versteck hervor, schwang sich aufs Rad und fuhr hinter ihr her. Weit und breit waren die beiden die einzigen Lebewesen. Das anmutige Weib saß kerzengerade auf ihrem Zweirad, während der Mann hinter ihr sich tief auf die Lenkstange herunterbeugte und sehr unsicher fuhr. Plötzlich machte sie unvermutet kehrt und fuhr beherzt auf ihn los! Er drehte sein Rad jedoch ebenso rasch herum und raste in eiliger Flucht davon. Sofort wandte sie sich wieder um und kam stolz erhobenen Hauptes wieder die Straße herauf, ohne sich weiter um ihren stillen Trabanten zu kümmern. Auch er fuhr wieder zurück und in angemessener Entfernung hinter ihr her. Als sie um die Krümmung herum waren, verlor ich sie aus dem Gesicht.
Ich blieb noch in meinem Versteck, und das war sehr gut, denn kurz darauf fuhr der Mann wieder langsam zurück. Er bog in das Eingangstor ein und stieg dann ab. Ein paar Minuten konnte ich ihn noch sehen. Er hatte die Hände in der Höhe und schien seine Krawatte in Ordnung zu bringen. Alsdann setzte er sich wieder auf, fuhr auf dem Parkweg weiter zum Schloss zu und entschwand in dem dichten Unterholz meinen Blicken. Ganz hinten in der Ferne konnte ich die altersgrauen Gebäude mit den schwarzgeräucherten Schornsteinen sehen.
Immerhin glaubte ich, ein ganz gutes Tagewerk getan zu haben und wanderte wohlgemut nach Farnham. Ein Agent am Ort vermochte mir über Charlington Hall keine Auskunft zu geben, sondern verwies mich an eine bekannte Adresse in Pall Mall. Dort sprach ich auf dem Heimweg vor und wurde von dem Vertreter der Firma höflich empfangen. Ich könne Charlington Hall für diesen Sommer leider nicht mehr vermietet bekommen. Es sei vor ungefähr einem Monat einem gewissen Mr Williamson überlassen worden, einem ehrwürdigen älteren Herrn. Über die Verhältnisse desselben könne er mir zu seinem Bedauern keine nähere Auskunft geben, weil er über die Privatangelegenheiten seiner Kunden nicht sprechen dürfe.
Holmes hörte den langen Bericht, den ich ihm an jenem Abend abstattete, aufmerksam an. Das erwartete Lob blieb indessen aus. Im Gegenteil, sein strenges Gesicht nahm einen noch strengeren Ausdruck an, als er Punkt für Punkt mit mir durchging, was ich getan hatte und was ich nicht getan hatte.
»Ihr Versteck, mein lieber Watson, war schlecht gewählt, Sie hätten sich hinter den Taxuszaun stellen müssen, dann würden Sie diese interessante Persönlichkeit aus der Nähe gesehen haben! Aber so haben Sie einige hundert Meter entfernt gestanden und können mir nun weniger sagen als Miss Smith. Sie glaubt, es ist ein Unbekannter; ich bin fest überzeugt, dass es ein Bekannter ist. Warum sollte er denn sonst so ängstlich darauf bedacht sein, von ihr ja nicht gesehen zu werden? Sie sagen, er beugte sich auffallend tief auf die Lenkstange herunter. Das hatte doch auch nur den Zweck, sich nicht erkennen zu lassen. Sie haben Ihre Sache wirklich merkwürdig schlecht gemacht. Sie wollen ausfindig machen, wer er ist, und lassen ihn ruhig in seine Wohnung zurückkehren und gehen zu einem Häuseragenten in London!«
»Was sollte ich denn tun?«, rief ich ziemlich erregt.
»Ins erste beste Wirtshaus gehen. Da erfährt man solche Sachen. Da hätten Sie alle Namen vom Herrn bis zum Spülmädchen herunter erfahren. Williamson! Das sagt mir gar nichts. Wenn er ein älterer Mann ist, kann er nicht so gewandt vom Rad auf- und abspringen und diesem kräftigen Mädchen entfliehen. Was haben wir nun durch Ihre Expedition eigentlich gewonnen? Die Überzeugung, dass die Erzählung der Dame auf der Wahrheit beruht. Die hatte ich auch vorher. Dass zwischen dem Radfahrer und dem Schloss eine Verbindung besteht. Daran habe ich ebenso wenig gezweifelt. Dass der Mieter Williamson heißt. Wozu soll uns das nützen? Nun, nun, mein lieber Herr, tun Sie nicht so beleidigt. Bis zum nächsten Sonnabend können wir nicht viel unternehmen, und inzwischen kann ich selbst ein paar Recherchen anstellen.«
Am nächsten Morgen bekamen wir einen Brief von Miss Smith, worin sie kurz und klar angab, was ich gesehen hatte. Die Hauptsache war jedoch
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