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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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musste jemand die Tür zugeschlagen haben. Dann war längere Zeit wieder alles ruhig, sodass ich schon fürchtete, es wäre ein trügerisches Geräusch gewesen. Da vernahmen wir auf der anderen Seite des Häuschens Fußtritte und kurz darauf ein metallisches Kratzen und Klingen. Der Mann versuchte das Schloss zu erbrechen! Diesmal war er geschickter oder sein Instrument besser, eine Feder schnappte ein, und die Tür knarrte. Es wurde ein Streichholz angezündet, und im nächsten Augenblick sahen wir ein stetes Licht im Innern der Hütte. Durch den dünnen Vorhang konnten wir alles beobachten, was in der Kajüte vorging.
    Der nächtliche Besucher war ein junger, dünner, schwächlicher Mensch mit einem schwarzen Schnurrbärtchen, das seine blasse Gesichtsfarbe noch stärker hervortreten ließ. Er konnte nicht viel über zwanzig Jahre zählen. Ich habe nie jemanden gesehen, der solche Furcht und solchen Schrecken ausstand; er klapperte mit den Zähnen und zitterte am ganzen Leib. Er war gut gekleidet und trug eine Joppe, Kniehosen und eine Tuchmütze. Wir sahen, wie er sich ängstlich umschaute. Dann steckte er die Kerze in eine Flasche, stellte sie auf den Tisch und verschwand in einer Ecke des Zimmers. Als er wieder auftauchte, hatte er ein großes Buch, einen Band aus der Reihe der Schiffsjournale, die auf dem Wandbrett standen. Er lehnte sich auf den Tisch und blätterte hastig in dem Band, bis er die Stelle fand, die er suchte. Dann erhob er die zorngeballte Faust, machte das Buch wieder zu, stellte es an seinen Platz zurück und löschte das Licht aus. Als er sich kaum zum Gehen gewandt hatte, erwischte ihn Hopkins an der Schulter. Er stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als er merkte, dass er verhaftet war. Die Kerze wurde wieder angezündet, und wir konnten unseren erbarmungswürdigen Gefangenen nun zitternd und bebend in der Gewalt des Polizeibeamten sehen. Er sank auf einen Koffer nieder und blickte uns hilflos an.
    »Nun, Sie sauberer Bursche«, sagte Hopkins, »wer sind Sie, und was suchen Sie hier?«
    Der Mann knickte zusammen. Als er sich endlich von seinem Schrecken erholt hatte und gefasst genug war, um sprechen zu können, antwortete er:
    »Sie sind vermutlich Geheimpolizisten? Sie glauben, ich stehe in Beziehung zu dem an Peter Carey begangenen Mord? Ich versichere Ihnen, dass ich unschuldig bin.«
    »Darüber sprechen wir später«, erwiderte Hopkins. »Vorerst, wie heißen Sie?«
    »John Hopley Neligan.«
    Ich bemerkte, wie Holmes und Hopkins rasche Blicke wechselten.
    »Was tun Sie hier?«
    »Kann ich privatim und im Vertrauen zu Ihnen sprechen?«
    »Nein, ganz gewiss nicht.«
    »Warum sollte ich Ihnen dann überhaupt etwas sagen?«
    »Wenn Sie keine Antwort geben, wird’s Ihnen vor Gericht schlecht bekommen.«
    Der junge Mann suchte erst auszuweichen, aber bald bequemte er sich zu einer Aussage.
    »Nun gut, ich will’s Ihnen erzählen«, begann er. »Warum sollte ich’s nicht? Freilich ist mir der Gedanke widerwärtig, dass dieser alte Skandal wieder aufgerührt werden soll. Haben Sie je von Dawson und Neligan gehört?«
    An Hopkins’ Gesicht konnte ich sehen, dass es seinerseits nicht der Fall war; dagegen zeigte mein Freund Holmes ein lebhaftes Interesse.
    »Sie meinen die Bankfirma«, sagte er. »Sie machten mit einer halben Million Pfund Bankrott, ruinierten die meisten Familien in der ganzen Grafschaft Cornwall, und Neligan wurde flüchtig und verschwand.«
    »Jawohl, und dieser Neligan war mein Vater.«
    Endlich erfuhren wir etwas Positives. Freilich bestand noch eine große Kluft zwischen einem durchgebrannten Bankier und dem mit seiner eigenen Harpune aufgespießten Kapitän. Wir lauschten alle gespannt den Worten des jungen Mannes.
    »Der Hauptbeteiligte war mein Vater. Dawson hatte sich zurückgezogen. Ich zählte damals erst zehn Jahre, war aber doch alt genug, um all die Schande und den Schrecken zu empfinden. Es wurde stets behauptet, mein Vater hätte die sämtlichen Papiere gestohlen und dann die Flucht ergriffen. Das ist nicht wahr. Er glaubte, wenn ihm die nötige Zeit gelassen würde, sie zu verwerten, würde noch alles gut gehen und jeder Gläubiger voll befriedigt werden können. Ehe der Verhaftungsbefehl erlassen wurde, fuhr er in seiner kleinen Jacht nach Norwegen ab. Ich erinnere mich noch sehr wohl jener letzten Nacht, als er von meiner Mutter Abschied nahm. Er ließ uns ein Verzeichnis der Papiere, die er mitnahm, zurück und schwor, dass er bei seiner Rückkehr

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