Sherlock Holmes - gesammelte Werke
furchtbar geregnet und ein orkanartiger Sturm geweht«, sagte er. »Es wird sich jetzt schwerer dort etwas herausholen lassen als aus diesem Pergament hier. Aber das alles kann nun nichts helfen. Was haben Sie dann getan, Hopkins, nachdem Sie sich klargemacht hatten, dass Sie nichts klargemacht hatten?«
»Ich denke doch, mancherlei klargemacht zu haben, Mr Holmes. Ich wusste, dass jemand vorsichtig von außen ins Haus getreten war. Ich untersuchte also zunächst den Hausflur. Er ist mit Kokosmatten belegt und wies keinerlei Spuren auf. Von da aus gelangte ich in das Studierzimmer selbst. Es ist ziemlich dürftig möbliert. Den Hauptteil der Einrichtung bildet ein großer Schreibtisch mit einem festen Aufsatz. Dieser besteht aus einer doppelten Reihe Schubkasten an den Seiten und einem schmalen Schränkchen in der Mitte. Dieses Schränkchen war verschlossen, die Schubfächer dagegen nicht. Dieselben scheinen stets offen zu sein und enthielten auch nichts von besonderem Wert. In dem Schränkchen dagegen lagen wichtige Papiere, aber nichts deutete darauf hin, dass es geöffnet gewesen war, und der Professor versicherte mir auch, dass nichts fehlte. Daraus geht mit Bestimmtheit hervor, dass kein Raubmord vorliegt.
Ich komme nun auf die Leiche des jungen Mannes zu sprechen. Sie wurde in der Nähe des Schreibtisches gefunden, und zwar links davon, wie auf der Skizze zu sehen ist. Der Stich war rechts am Hals und ging von hinten nach vorn, sodass Selbstmord so gut wie ausgeschlossen ist.«
»Wenn er nicht in das Messer gefallen ist«, bemerkte Holmes.
»Jawohl. Dieser Gedanke kam mir auch. Aber das Messer lag ein paar Fuß von der Leiche entfernt, sodass diese Annahme auch unmöglich erscheint. Dazu kommen noch die eigenen Worte des Sterbenden in Betracht. Und endlich fand ich noch dieses äußerst wichtige Beweisstück, das der Tote in der rechten Hand gehabt hatte.«
Hopkins zog ein zusammengefaltetes Papier aus der Tasche. Er wickelte es auf und brachte einen goldenen Klemmer zum Vorschein mit einer zerrissenen schwarzen Seidenschnur daran. »Der Sekretär selbst hatte sehr gute Augen«, fügte er hinzu. »Ohne Frage hat er das seinem Mörder abgenommen.«
Holmes nahm das Glas in seine Hand und prüfte es mit höchster Aufmerksamkeit und lebhaftem Interesse. Er setzte den Kneifer auf und bemühte sich zu lesen, er ging damit ans Fenster und sah auf die Straße, er betrachtete ihn im vollen Lampenlicht und setzte sich schließlich an den Tisch und schrieb einige Zeilen auf ein Blatt Papier, das er dann dem Inspektor Hopkins reichte.
»Das ist das Beste, was ich Ihnen raten kann«, sagte er. »Es wird Ihnen vielleicht von einigem Nutzen sein.«
Der erstaunte Detektiv las die Notiz vor. Sie hatte folgenden Inhalt:
Gesucht wird eine Frauensperson, die gutes Benehmen hat und wie eine Dame gekleidet ist. Sie hat eine auffallend dicke Nase und eng aneinander liegende Augen. Die Stirn ist runzelig, der Gesichtsausdruck stechend, und die Schultern sind wahrscheinlich gekrümmt. Es sind Anzeichen vorhanden, dass sie in den letzten paar Monaten zweimal bei einem Optiker gewesen ist. Da sie sehr starke Gläser trägt, und es nicht viele Optiker gibt, dürfte es nicht schwer sein, ihr auf die Spur zu kommen.
Holmes lächelte über das Erstaunen von Hopkins, das sich wohl auch auf mich übertragen haben musste.
»Meine Schlüsse sind doch so klar, wie nur was«, sagte er. »Ich kann mir kaum einen Gegenstand vorstellen, aus dem man leichter folgern kann als aus einer Brille, zumal, wenn sie von so besonderer Art ist wie diese. Dass der Klemmer einer Dame gehört, geht aus seiner feinen Beschaffenheit hervor, und natürlich auch aus den letzten Worten des sterbenden Sekretärs. Dass sie eine Frau von guten Manieren und gut gekleidet ist, schließe ich daraus, dass die Gläser eine starke goldene Einfassung haben, denn es ist kaum anzunehmen, dass jemand, der darauf Wert legt, sonst nachlässig ist. Sie werden finden, dass die Bügel für Ihre Nase zu weit auseinander stehen, woraus zu entnehmen ist, dass ihre Nase an der Basis sehr breit ist. Derartige Nasen sind gewöhnlich kurz und unfein, es gibt dabei aber Ausnahmen, sodass ich mich nicht auf diesen Punkt in meiner Beschreibung besonders versteifen will. Ich selbst habe ein schmales Gesicht, und doch stehen die Gläser für mich zu eng. Die Augen der Dame müssen also sehr nahe aneinander stehen. Sie können sich überzeugen, Watson, dass es konkave und
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