Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
Vom Netzwerk:
mehr war. In der Mitte des Zimmers stand das Bett, und darin saß, auf Kissen gestützt, der Eigentümer des Hauses. Ich habe selten einen charakteristischer aussehenden Mann kennengelernt. Er hatte ein langes, hageres Gesicht mit einer Adlernase, und aus tiefen Höhlen unter überhängenden, buschigen Brauen blickten uns ein Paar durchdringende Augen entgegen. Haar und Bart waren weiß, nur um den Mund herum hatten die Barthaare merkwürdige gelbe Flecken. Zwischen dem wirren weißen Barthaar glühte eine Zigarette, und das ganze Zimmer war von Tabaksrauch erfüllt. Als er Holmes die Hand reichte, bemerkte ich, dass auch sie gelbe Nikotinflecken hatte.
    »Raucher, Mr Holmes?«, fragte er in gewähltem Englisch mit einem ganz unmerklichen Akzent. »Bitte nehmen Sie eine Zigarette. Und Sie, mein Herr? Ich kann sie empfehlen, ich habe sie bei Jonides in Alexandria besonders anfertigen lassen. Er schickt mir jedes Mal eintausend, und ich muss leider gestehen, dass ich alle vierzehn Tage eine neue Sendung bestellen muss. Das ist bös, sehr bös, aber ein alter Mann hat nur noch wenig Vergnügungen. Der Tabak und meine Arbeit – das ist alles, was ich noch habe.«
    Holmes zündete sich eine Zigarette an und warf unmerklich verstohlene Blicke überallhin.
    »Tabak und meine Arbeit, aber jetzt nur noch Tabak«, rief der alte Mann aus. »Ach, was für eine fatale Unterbrechung! Wer hätte an eine solche Katastrophe gedacht? Ein so ehrenwerter junger Mann! Ich versichere Ihnen, nachdem er sich ein paar Monate eingearbeitet hatte, war er ein wunderbarer Assistent. Was halten Sie von dieser Sache, Mr Holmes?«
    »Ich bin noch zu keinem Urteil gekommen.«
    »Sie würden mich wirklich sehr zu Dank verpflichten, wenn Sie in diese für uns so dunkle Angelegenheit Licht bringen könnten. Auf einen armen Bücherwurm wie mich, der obendrein noch krank ist, wirkt ein solcher Schlag geradezu lähmend. Ich habe vollständig meine Gedanken verloren. Aber Sie sind ein Mann der Tat – ein Mann, der mitten im Leben steht. Ihnen kommen solche Fälle fast alle Tage vor. Sie können Ihr seelisches Gleichgewicht in allen Lebenslagen bewahren. Wir sind wirklich sehr froh, dass wir Sie auf unserer Seite haben.«
    Holmes schritt, während der Professor sprach, an der einen Seite des Zimmers beständig auf und ab. Ich bemerkte, dass er außerordentlich rasch rauchte. Offenbar teilte er unseres Wirtes Vorliebe für frische alexandrinische Zigaretten.
    »Ja, ja, es ist ein schwerer Schlag, Mr Holmes. Es ist mein größtes Werk – jener Stoß Manuskripte dort drüben auf dem Seitentisch. Es ist eine Analyse der in den koptischen Klöstern Syriens und Ägyptens gefundenen Urkunden, die bis in die frühesten Perioden vergangener Religionen zurückreichen und von einschneidendster Bedeutung für deren Auffassung sind. Bei meiner schwachen Gesundheit weiß ich nun nicht, ob ich’s vollenden werde, nachdem ich meinen Assistenten verloren habe. Alle Wetter, Mr Holmes; ei, Sie rauchen ja noch schneller als ich.«
    Holmes lächelte.
    »Ich bin Kenner«, antwortete er und nahm sich eine neue Zigarette aus dem Kistchen – seine vierte – und zündete sie gleich wieder an dem Stummel der eben zu Ende gerauchten an. »Ich will Sie nicht mit vielem Hin- und Herfragen belästigen, Herr Professor, weil Sie ja, als das Verbrechen geschah, im Bett lagen und nichts davon wissen können. Ich möchte Sie nur um eine einzige Auskunft bitten. Was glauben Sie, dass der arme Kerl mit seinen letzten Worten: ›Professor – sie war’s‹ gemeint hat?«
    Der Professor schüttelte sein Haupt.
    »Susan ist ein Landmädchen«, erwiderte er, »und Sie kennen ja die Beschränktheit dieser Leute. Ich stelle mir vor, dass der arme Mensch in seinem Wahn ein paar unzusammenhängende Worte gemurmelt hat, die sie nun zu diesem sinnlosen Ausruf verknüpft hat.«
    »Ich verstehe. Sie haben selbst keine Erklärung für die Tat?«
    »Möglicherweise ist’s ein unglücklicher Zufall; möglicherweise – ich sage’s nur unter uns – ein Selbstmord. Junge Leute haben oft verborgenen Kummer – irgendwelchen Liebesschmerz vielleicht, den wir nie bemerkt haben. Immerhin ist es eine noch wahrscheinlichere Annahme als Mord.«
    »Aber der Klemmer?«
    »Ach so! Ich bin nur ein Gelehrter – ein Träumer. Ich habe kein Verständnis für die Dinge des praktischen Lebens. Aber doch ist es bekannt, dass es gar sonderbare Liebespfänder gibt, mein Freund. Auf alle Fälle nehmen Sie sich noch eine

Weitere Kostenlose Bücher