Sherlock Holmes - gesammelte Werke
werfen?«
»Das ist allerdings ziemlich merkwürdig. Ich hatte nur den Gedanken, dass, falls solche Leute das Silberzeug weggenommen hätten, die es nicht brauchten, die es nur zum Schein gestohlen hätten, sie’s natürlich möglichst schnell wieder los sein möchten.«
»Aber wie kamen Sie auf einen solchen Gedanken?«
»Nun, ich hielt es nicht für ausgeschlossen. Als sie durch das französische Fenster wieder ins Freie traten, lag ihnen der zugefrorene Teich mit der einzigen eisfreien Stelle ja gerade vor der Nase. Konnten sie sich einen besseren Platz zum Verstecken der Beute wünschen?«
»Aha, ein Versteck – das klingt schon glaubwürdiger!«, rief Hopkins. »Ja, ja, jetzt begreife ich die Sache vollkommen! Es war noch früh, es waren noch Leute auf den Wegen, sie fürchteten, mit dem Silber gesehen zu werden, und beabsichtigten, es abzuholen, wenn’s sicherer wäre. Großartig! Das ist ’ne bessere Idee, Mr Holmes, als die, dass sie’s nur auf ’ne Irreführung der Polizei abgesehen hätten.«
»Ganz recht so; Sie haben eine wunderbare Theorie. Zweifelsohne hatte ich nur ganz verschwommene Vorstellungen, aber immerhin müssen Sie zugeben, dass sie zur Entdeckung des Silberzeugs geführt haben.«
»Gewiss, Mr Holmes, natürlich. Es war nur Ihr Werk. Aber ich habe einen gehörigen Dämpfer bekommen.«
»Einen Dämpfer?«
»Jawohl, Mr Holmes. Die Randalls sind heute Morgen in New York festgenommen worden.«
»Teufel auch, Hopkins! Das spricht allerdings ziemlich deutlich gegen Ihre Annahme, dass sie vergangene Nacht in Kent einen Mord begangen haben sollen.«
»Das ist fatal, Mr Holmes, sehr fatal. Doch es gibt außer den Randalls auch noch andere Diebesbanden von drei Mann, vielleicht ist es auch eine neue Bande, von der die Polizei noch gar nichts gehört hat.«
»Gewiss; das ist leicht möglich. Was gedenken Sie nun zu tun?«
»Ja, Mr Holmes; ich werde nicht eher ruhen, bis ich dieser Sache auf den Grund gekommen bin. Sie können mir wohl keinen Wink geben?«
»Ich habe Ihnen ja einen gegeben.«
»Was denn für einen?«
»Nun, ich spielte auf eine Täuschung an.«
»Aber wieso, Mr Holmes, wozu?«
»Ja, das ist natürlich die Frage. Aber ich kann Ihnen nur empfehlen, auf diese Anregung näher einzugehen. Vielleicht finden Sie doch, dass sie nicht so ganz ohne ist. Wollen Sie nicht zum Essen hierbleiben? Nein? Dann Guten Abend, und lassen Sie uns Nachricht zukommen, wie’s weitergeht.«
Wir waren mit der Abendmahlzeit fertig, und der Tisch war abgeräumt, bevor Holmes wieder auf die Angelegenheit zu sprechen kam. Er hatte seine Pfeife angezündet, die Schuhe ausgezogen und erfreute sich an dem prasselnden Feuer im Kamin. Plötzlich sah er auf die Uhr.
»Ich erwarte Enthüllungen, Watson.«
»Wann?«
»Nun – innerhalb der nächsten Minuten. Ich glaube, Sie dachten, ich handelte eben nicht schön an Hopkins?«
»Ich vertraue Ihrem Urteil.«
»Das ist sehr verständig, Watson. Sie müssen Folgendes beachten: Was ich weiß, ist nicht amtlich; was er weiß, ist amtlich. Ich kann tun und lassen, was ich will; er nicht. Er muss alles anzeigen, oder er vergeht sich gegen seine Stellung. In diesem Fall wollte ich ihn nicht in Verlegenheit bringen, deshalb behalte ich mein Wissen für mich und warte, bis ich selbst ganz im Klaren bin.«
»Aber wann wird das sein?«
»Die Zeit ist schon da. Sie werden jetzt der letzten Szene dieses kleinen Dramas beiwohnen.«
Ich hörte eine Stimme draußen, die Zimmertür tat sich auf und herein trat eine so stattliche Erscheinung von einem Mann, wie selten einer unsere Schwelle überschritten hatte. Es war ein sehr großer jüngerer Herr mit goldblondem Schnurrbart, blauen Augen und einer Gesichtsfarbe, welche die Spuren der tropischen Sonne erkennen ließ. Er hatte einen elastischen Schritt, der zeigte, dass sein mächtiger Körper ebenso gewandt wie kräftig war. Er machte die Tür hinter sich zu und blieb mit geballten Fäusten und heftig auf- und abgehender Brust vor uns stehen; er kämpfte offenbar eine gewaltige Erregung nieder.
»Setzen Sie sich, Herr Kapitän. Sie haben mein Telegramm erhalten?«
Unser Besucher ließ sich in einen Lehnstuhl niedersinken und sah uns nacheinander fragend an.
»Ich habe Ihre Depesche empfangen und bin um die angegebene Stunde hierhergekommen. Ich habe gehört, dass Sie drunten im Büro gewesen sind. Da gab’s kein Entrinnen mehr. Sagen Sie nur gleich, was Sie mit mir machen wollen, und wenn’s auch das
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