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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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stellen.«
    »Welcher Natur sind sie?«
    »Da fragen Sie mich wieder mehr, gnädige Frau, als ich Ihnen beantworten kann.«
    »Dann will ich Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Ich kann Ihnen keinen Vorwurf daraus machen, Mr Holmes, dass Sie sich nicht deutlicher ausgesprochen haben, und Sie Ihrerseits werden gewiss nicht geringer von mir denken, weil ich, selbst gegen seinen Willen, an den Bekümmernissen meines Gatten teilzunehmen wünsche. Ich ersuche Sie nochmals, ihm nichts von meinem Besuch zu sagen.« Sie warf uns von der Tür noch einen letzten Blick zu, und ich sah noch einmal das schöne, abgehärmte Gesicht, die geängstigten Augen und die zuckenden Lippen. Dann war sie verschwunden.
    »Nun, Watson, das schöne Geschlecht ist Ihre Spezialität«, sagte Holmes lächelnd, als sich die Tür hinter den rauschenden seidenen Kleidern geschlossen hatte. »Welche Rolle mag sie in der Sache spielen? Was wollte sie eigentlich?«
    »Ihre Angaben waren ganz klar und ihre Besorgnis ist sehr natürlich.«
    »Hm! Bedenken Sie ihr Auftreten, Watson – ihr Wesen, ihre unterdrückte Erregung, ihre Unruhe, ihre Hartnäckigkeit, mit der sie immer wieder Fragen stellte. Bedenken Sie, dass sie einer Gesellschaftsklasse angehört, die nicht leicht Erregung verrät.«
    »Sie war sicherlich sehr aufgeregt.«
    »Bedenken Sie auch den auffallenden Ernst, mit dem sie versicherte, dass es für ihren Mann am besten sei, wenn sie vollständig unterrichtet würde. Was meinte sie damit? Außerdem müssen Sie auch bemerkt haben, Watson, wie sie sich bemühte, das Licht im Rücken zu haben. Sie wollte nicht, dass wir ihren Gesichtsausdruck sähen.«
    »Jawohl; sie suchte sich den einzigen Stuhl aus, der so stand.«
    »Und doch sind die Motive bei Frauen so unergründlich. Sie werden sich des Weibes in Margate entsinnen, die mir aus derselben Veranlassung verdächtig erschien. Dass sie nicht gepudert war, stellte sich schließlich als die wirkliche Ursache heraus. Was kann man aus einem solchen Nebenumstand für Schlüsse ziehen? Die kleinste Handlung kann ganze Bände bedeuten, wie auch das auffallendste Benehmen auf eine Haarnadel oder Lockenschere zurückzuführen sein kann. Guten Morgen, Watson.«
    »Sie gehen weg?«
    »Ja; ich will den Vormittag mit unseren Kollegen von der offiziellen Polizei in der Godolphin Street verbringen. Bei Eduardo Lucas liegt die Lösung unseres Problems; freilich muss ich gestehen, dass ich noch keine blasse Ahnung habe, wie sie sich gestalten wird. Es ist ein Hauptfehler, mit seinen theoretischen Überlegungen den Tatsachen vorauszueilen. Bleiben Sie hier auf Wache, mein lieber Watson, um etwaige neue Besucher zu empfangen. Ich werde zum Mittagessen wieder hier sein, wenn’s möglich ist.«
    Während dieses Tages und während des nächsten und auch noch am übernächsten war Holmes in einer Laune, die seine Freunde schweigsam und andere Leute mürrisch zu nennen pflegen. Er lief aus und ein, rauchte unaufhörlich, ergriff die Geige, versank in Träumereien, verschlang zu ungewohnten Stunden belegte Brötchen und gab auf meine gelegentlichen Fragen kaum eine Antwort. Es war mir klar, dass ihm die Sache nicht nach Wunsch ging. Er sagte mir kein Wort über den Verlauf des Falles, und ich erfuhr nur aus den Zeitungen Näheres über die Untersuchung und die Verhaftung John Mittons, des Dieners des Ermordeten, und die darauf erfolgte Freilassung desselben. Die gerichtliche Leichenschau und Vorverhandlung stellte ›vorsätzlichen Mord‹ fest, aber die Täter konnten nicht ermittelt werden. Auch kein Beweggrund war zu finden. Im Zimmer befanden sich eine Menge Wertgegenstände, aber es war keiner mitgenommen worden. Die Briefschaften des Verstorbenen waren nicht angerührt worden. Sie wurden sorgfältig geprüft und zeigten, dass er die internationalen politischen Beziehungen genau verfolgt hatte, dass er ein ausgezeichneter Sprachkenner und ein unermüdlicher Briefschreiber gewesen war. Mit den führenden Politikern mehrerer Staaten hatte er auf vertrautem Fuß gestanden. Aber Aufsehenerregendes wurde unter den Stößen von Briefschaften nicht gefunden. Mit Frauen schien er zahlreiche, aber nur oberflächliche Verhältnisse unterhalten zu haben. Er hatte viele Bekannte, aber wenige Freundinnen und keine Geliebte. Er hatte regelmäßig gelebt und niemandem ein Leid zugefügt. Sein gewaltsames Ende war ein vollkommenes Geheimnis und würde wohl auch eins bleiben.
    Die Festnahme des Dieners Mitton war nur

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