Sherlock Holmes - gesammelte Werke
– dachten wir, wir könnten etwas aufräumen. Dieser Teppich ist, wie Sie sehen, nicht besonders festgemacht, nur so hingelegt. Als wir ihn aufhoben, fanden wir ...«
»Nun? Was denn?«
Holmes war ganz gespannt vor Neugierde und Besorgnis.
»Nun, Sie werden’s in hundert Jahren nicht erraten, glaube ich, was wir fanden. Sehen Sie diesen Flecken auf dem Teppich? Gut, es muss viel eingedrungen sein, nicht wahr?«
»Zweifellos.«
»Nun, Sie werden erstaunt sein, zu hören, dass auf dem weißen Holzfußboden darunter kein entsprechender Flecken ist.«
»Kein Flecken! Aber der muss da sein ...«
»Ja, so sagen Sie. Aber tatsächlich ist doch keiner da.«
Er hob den Teppich an der Ecke auf, legte ihn um und zeigte uns, dass es wirklich so war, wie er gesagt hatte.
»Aber die untere Seite ist ebenso von Blut durchtränkt wie die obere; sie muss einen Abdruck zurückgelassen haben.«
Lestrade freute sich unbändig, den berühmten Sachverständigen in Verlegenheit gebracht zu haben.
»Nun will ich Ihnen auch die Erklärung zeigen. Es ist ein zweiter Flecken da, aber nicht an der entsprechenden Stelle. Sehen Sie selbst her.« Während er das sagte, nahm er einen anderen Teil des Teppichs auf, und da befand sich in der Tat ein großer roter Flecken darunter, der sich von dem weißen, altmodischen Holzboden deutlich abhob. »Wie erklären Sie das, Mr Holmes?«
»Ei, das ist ziemlich einfach. Die beiden Flecken entsprachen einander, aber der Teppich ist herumgedreht worden. Da er quadratisch und nicht festgemacht ist, war das sehr leicht.«
»Die Polizei braucht Sie nicht, Mr Holmes, um zu wissen, dass der Teppich rumgedreht worden sein muss. Das wissen wir allein, denn die Flecken passen aufeinander – wenn Sie den Teppich so legen. Was ich gerne wissen möchte, ist, wer den Teppich anders rumgelegt hat, und wozu?«
Ich konnte Holmes an seinem strengen Gesicht ablesen, dass er vor innerer Aufregung zitterte.
»Hören Sie, Mr Lestrade, ist dieser Schutzmann draußen während der ganzen Zeit hier in Dienst gewesen?«
»Jawohl.«
»Nun, dann befolgen Sie meinen Rat. Vernehmen Sie ihn vorsichtig und eindringlich. Tun Sie’s aber nicht in unserer Gegenwart. Wir wollen hier warten. Gehen Sie mit ihm in das hintere Zimmer. Er wird dann eher ein Geständnis ablegen, wenn Sie allein sind. Fragen Sie ihn, wie er sich hätte unterstehen können, Leuten den Zutritt zu gestatten und sie allein im Zimmer zu lassen. Fragen Sie ihn nicht, ob er es getan hat. Sagen Sie’s ihm auf den Kopf zu. Sagen Sie ihm, Sie wissen, dass jemand hier gewesen ist. Drücken Sie gehörig auf. Sagen Sie ihm, dass ihn nur ein volles Geständnis vor Strafe schützen kann. Machen Sie’s genauso, wie ich Ihnen angebe!«
»Bei Gott, wenn er’s weiß, will ich’s schon aus ihm rauskriegen!«, rief Lestrade. Er stürzte hinaus auf den Flur, und ein paar Sekunden später hörten wir ihn im Hinterzimmer schreien.
»Jetzt, Watson, jetzt!«, rief Holmes in größter Aufregung. Die ganze dämonische Kraft des Mannes, die er hinter jener augenscheinlichen Gleichgültigkeit verborgen hatte, kam jetzt zum Ausdruck. Er riss den Teppich in die Höhe, und in einem Moment lag er auf den Knien, kratzte mit den Nägeln auf dem Boden herum und untersuchte die einzelnen Bodenbretter. Eines ließ sich am Rande fassen und in die Höhe klappen, wenn man einen besonderen Handgriff anwandte. Darunter befand sich eine kleine schwarze Vertiefung. Holmes tat einen raschen Griff hinein, zog aber die Hand wieder zurück, indem er ärgerlich und enttäuscht ein paar bittere Worte murmelte. Es war nichts drin.
»Rasch, Watson, rasch!« Eiligst wurde alles wieder in Ordnung gebracht, und der Teppich war kaum zurecht gelegt, als wir im Gang Lestrade zurückkommen hörten. Als er eintrat, stand Holmes nachlässig am Ofen, gleichgültig und gelangweilt, er bemühte sich, das Gähnen zu unterdrücken.
»Es tut mir leid, dass ich Sie so lange habe warten lassen müssen, Mr Holmes. Ich sehe Ihnen an, dass Ihnen die ganze Sache wenig Spaß macht. Nun, er hat’s eingestanden. Kommen Sie hier rein, Pherson. Erzählen Sie diesen Herren Ihr ganz unentschuldbares Benehmen.«
Der dicke Schutzmann kam mit rotem Kopf und zerknirschtem Gesicht ins Zimmer gewackelt.
»Ich ahnte nichts Böses, meine Herrn, sicher nicht. Die junge Dame kam gestern Abend hier an die Tür – sie irrte sich im Haus, wirklich. Wir kamen ins Gespräch. Es ist einsam, den ganzen Tag hier Wache zu
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