Sherlock Holmes - gesammelte Werke
kam.«
»Es schwoll an und wurde schwächer mit dem Wind. Liegt nicht in jener Richtung der große Grimpener Sumpf?«
»Ja.«
»Hm, dorther kam es. Seien Sie offen, Watson! Glauben Sie nicht selber, es war das Geheul eines Hundes? Ich bin kein Kind. Sie können ohne Furcht die Wahrheit sagen.«
»Stapleton war bei mir, als ich es das vorige Mal hörte; er sagte, es könnte möglicherweise der Schrei eines seltenen Vogels sein.«
»Nein, nein, es war ein Hund. Mein Gott, kann denn wirklich was Wahres an all diesen Geschichten sein? Ist es möglich, dass wirklich eine so geheimnisdunkle Gefahr mich ernstlich bedroht? Sie glauben doch nicht daran, Watson, nicht wahr?«
»Nein, nein!«
»Und doch, in London konnte man wohl darüber lachen, aber es ist was anderes, hier in der Finsternis auf dem Moor zu stehen und ein solches Geheul zu hören. Und mein Onkel! Neben der Stelle, wo er lag, war die Fußspur eines riesigen Hundes. Es stimmt alles zusammen. Ich glaube, kein Feigling zu sein, Watson, aber bei jenem Ton war es mir, als gefröre das Blut in meinen Adern. Fühlen Sie meine Hand!«
Sie war so kalt wie ein Stück Marmor.
»Morgen wird Ihnen wieder ganz wohl sein.«
»Ich glaube, das Geheul werde ich nicht so leicht wieder aus den Ohren los. Was sollen wir nach Ihrer Meinung jetzt zunächst tun?«
»Sollen wir umkehren?«
»Zum Donnerwetter, nein! Wir sind herausgekommen, um den Kerl zu fangen, und wir werden ihn fangen. Wir sind hinter dem Sträfling her, und ein Höllenhund ist ohne Zweifel hinter uns her. Vorwärts! Wir wollen die Sache zum Ende führen, und wenn alle Teufel der Hölle auf das Moor losgelassen wären!«
Wir tappten langsam in der Finsternis vorwärts, rings um uns war der schwarze Kranz der zerklüfteten Felsenhügel, vor uns brannte, immer auf demselben Fleck, der gelbe Lichtpunkt. Über nichts täuscht man sich so leicht wie über die Entfernung eines Lichtes in pechfinsterer Nacht; zuweilen sah es aus wie ein Flimmern am fernen Horizont, dann wieder schien es ein paar Ellen vor uns zu sein. Schließlich aber sahen wir, woher der Schein kam, und erkannten zugleich, dass wir ganz dicht dabei waren. Eine tropfende Kerze war in eine Felsenspalte gestellt; das Gestein beschützte die Flamme auf beiden Seiten gegen den Wind und bewirkte zugleich, dass der Lichtschein nur von Baskerville Hall her gesehen werden konnte. Ein Granitblock ermöglichte uns, ungesehen näher zu kommen; wir kauerten uns hinter dieser Deckung zusammen und spähten nach dem Signallicht. Einen seltsamen Anblick bot diese einsame Kerze, die hier mitten auf dem Moor brannte. Kein Zeichen des Lebens ringsum – nur diese eine gelbe Flamme und der Widerschein des Lichtes auf dem Gestein zu beiden Seiten.
»Was sollen wir jetzt zunächst tun?«, flüsterte Sir Henry.
»Hier warten! Er muss in der Nähe seines Lichtes sein. Wir wollen versuchen, ob wir ihn nicht zu Gesicht bekommen können.«
Ich hatte kaum diese Worte ausgesprochen, als wir ihn beide sahen. Über den Felsen, in der Spalte, worin das Licht brannte, streckte sich ein fahlgelbes Gesicht vor, ein scheußlich viehisches Gesicht, von niedrigen Leidenschaften verzerrt und durchfurcht. Von dem Morast besudelt, von zottigem Bart und wirrem Haar umgeben, hätte man es wohl für das Gesicht eines jener vorgeschichtlichen Wilden halten können, die in den Höhlen am Hügelabhang gelebt hatten. Das unter ihm brennende Licht spiegelte sich in seinen kleinen schlauen Augen, die mit wildem Blick sich nach rechts und links durch die Finsternis bohrten, wie die Augen eines listigen Raubtiers, das den Schritt des Jägers gehört hat.
Augenscheinlich hatte irgendetwas seinen Verdacht erregt. Vielleicht hatte sonst Barrymore irgendein anderes Zeichen gegeben, das wir natürlich nicht kannten, vielleicht hatte der Mann sonst einen Grund, anzunehmen, dass nicht alles in Ordnung war. Die Furcht war deutlich auf seinem Verbrechergesicht zu lesen. Jeden Augenblick konnte er mit einem Sprung sich aus dem Bereich des Lichtes entfernen und in der Dunkelheit verschwinden. Ich sprang deshalb auf ihn zu, und Sir Henry folgte meinem Beispiel. Im selben Augenblick schrie der Zuchthäusler uns einen wütenden Fluch entgegen und schleuderte einen großen Stein, der an dem uns bisher zur Deckung dienenden Granitblock in Stücke zerschellte.
Als er auf die Füße sprang und sich zur Flucht wandte, konnte ich einen kurzen Blick auf seine kurze, stämmige und kräftige Gestalt werfen. Im
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