Sherlock Holmes - gesammelte Werke
anzugeben – und damit basta! – Es ist gut, Barrymore, Sie können gehen.«
Der Mann stammelte noch einige Worte des Dankes und ging. Plötzlich aber blieb er zögernd stehen, kam zurück und sagte:
»Sie sind so freundlich gegen uns gewesen, Herr, dass ich es gern vergelten möchte, so gut ich’s nur kann. Ich weiß etwas, Sir Henry, und hätte es vielleicht früher sagen sollen, aber als ich Kenntnis davon erhielt, war seit Sir Charles’ Leichenschau schon lange Zeit verstrichen. Ich habe bis jetzt zu keiner Menschenseele ein Wort davon verlauten lassen. Es betrifft den Tod meines armen früheren Herrn!«
Der Baronet und ich sprangen beide gleichzeitig von unseren Stühlen auf und riefen:
»Wissen Sie, wie er ums Leben kam?«
»Nein, Herr, davon weiß ich nichts!«
»Was wissen Sie denn?«
»Ich weiß, warum er um jene Stunde an der Pforte war. Er hatte eine Verabredung mit einem Weib.«
»Mit einem Weib? Was?«
»Ja.«
»Und wie hieß sie?«
»Den Namen kann ich Ihnen nicht angeben, wohl aber seine Anfangsbuchstaben. Diese sind L. L.«
»Woher wissen Sie das, Barrymore?«
»Sehen Sie, Sir Henry, Ihr Onkel bekam an jenem Morgen einen Brief. Für gewöhnlich bekam er sehr viele Briefe, denn er war eine hervorragende Persönlichkeit hier in der Gegend, und seine Gutherzigkeit war allgemein bekannt; deshalb wandte sich jeder, der in Verlegenheit war, mit Vorliebe an Sir Charles. Aber an jenem Morgen war nur dieser einzige Brief angekommen; deshalb fiel er mir umso mehr auf. Der Brief war in Coombe Tracey aufgegeben und die Adresse von einer Frauenhand geschrieben.«
»Weiter?«
»Nun, Herr, ich dachte nicht mehr daran und würde überhaupt nicht mehr daran gedacht haben. Indessen vor ein paar Wochen räumte meine Frau Sir Charles’ Arbeitszimmer auf – es war seit seinem Tod nichts darin angerührt worden –, und da fand sie hinten am Kaminrost die Asche von einem verbrannten Brief. Sein größerer Teil war in kleine Stückchen zerfallen, aber ein kleiner Streifen vom unteren Ende einer Seite hing noch zusammen, und die Schriftzüge waren zu lesen, indem sie sich grau von dem schwarzen Grund abhoben. Wir hielten es für eine Nachschrift zu dem Brief, und die Worte lauteten folgendermaßen: ›Bitte, bitte! Da Sie ein Gentleman sind, verbrennen Sie diesen Brief und seien Sie um zehn an der Pforte!‹ Unterzeichnet war dieser Satz mit den Buchstaben L. L.«
»Haben Sie den Streifen aufbewahrt?«
»Nein, Herr, er fiel uns unter den Händen in Asche zusammen.«
»Hatte Sir Charles schon früher Briefe mit derselben Handschrift erhalten?«
»Hm, ich sah mir sonst seine Briefe nicht an und achtete nicht besonders darauf. Ich hätte auch auf diesen Brief nicht geachtet, wenn er nicht eben allein gekommen wäre.«
»Und Sie haben keine Ahnung, wer L. L. ist?«
»Nein, Herr – so wenig wie Sie selber! Aber ich nehme an, wenn wir die Dame ausfindig machen könnten, würden wir mehr über Sir Charles’ Ende erfahren!«
»Ich begreife nicht, Barrymore, wie Sie dazu kamen, einen so wichtigen Umstand zu verheimlichen.«
»Nun, Sir Henry, wir fanden den Brief gerade in jenen Tagen, als wir selber durch meinen Schwager in eine so fatale Verlegenheit versetzt wurden. Und dann, Herr – wir hatten alle beide Sir Charles sehr lieb gehabt – wie es ja nach allem, was er für uns getan hatte, gar nicht anders sein konnte. Wenn wir die Geschichte wieder aufrührten, konnte das unserem armen alten Herrn nichts nützen – und wenn irgendwo eine Dame im Spiel ist, dann ist es besser, vorsichtig zu sein. Auch der beste Mensch ...«
»Sie meinten, es könnte seinem guten Ruf schaden?«
»Nun, jedenfalls dachte ich, es könnte nichts Gutes daraus entstehen! Aber jetzt sind Sie so gut zu uns gewesen, und ich fühle, es wäre nicht recht von mir gewesen, wenn ich Ihnen nicht alles gesagt hätte, was ich von der Geschichte weiß.«
»Sehr gut, Barrymore! Sie können gehen.«
Nachdem der Mann hinausgegangen war, wandte Sir Henry sich zu mir und sagte:
»Nun, Watson, was meinen Sie zu diesem neuen Licht, das auf meines Onkels Ende fällt?«
»Mir scheint, die Dunkelheit ist nur noch schwärzer geworden, als sie schon war!«
»Das ist auch meine Meinung. Aber wenn wir nur L. L. aufspüren könnten, würde sich die ganze Sache aufklären! Was sollen wir nach Ihrer Meinung tun?«
»Sofort Holmes von allem in Kenntnis setzen! Für ihn wird dies der Anhaltspunkt sein, nach welchem er so lange gesucht hat.«
Ich
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