Sherlock Holmes - gesammelte Werke
schaffen, aber das würde meine Schwester so in Angst setzen, dass ich mich nicht dazu berechtigt glaube. Ich glaube, wenn wir ihm etwas über sein Gesicht decken, wird er bis morgen unversehrt liegen bleiben.«
Dieser Vorschlag wurde ausgeführt. Stapletons Einladung, die Gastfreundschaft seines Hauses zu benutzen, lehnten wir ab, und Holmes und ich machten uns auf den Weg nach Baskerville Hall, während der Naturforscher allein zu seinem Haus zurückging. Als wir uns einmal umwandten, sahen wir seine Gestalt langsam über das weite Moor hingehen, und hinter ihm auf dem mondhellen Abhang lag der schwarze Fleck – die Todesstätte des Mannes, der ein so grausiges Ende gefunden.
»Endlich ringen wir also Leib an Leib!«, sagte Holmes, als wir zusammen quer über das Moor gingen. »Was für Nerven der Bursche hat! Wie er sich zusammenraffte trotz des lähmenden Schrecks, den er empfunden haben muss, als er plötzlich sah, dass der verkehrte Mann seinem Anschlag zum Opfer gefallen war. Ich sagte Ihnen in London schon, Watson, und ich sag’s Ihnen hier noch einmal: Niemals haben wir einen Gegner gehabt, der unserer Klinge würdiger war.«
»Es tut mir leid, dass er Sie gesehen hat.«
»Mir war es anfangs ebenfalls unangenehm. Aber dagegen ließ sich nun mal nichts machen.«
»Da er nun also weiß, dass Sie hier sind – welchen Einfluss wird das Ihrer Meinung nach auf seine Pläne haben?«
»Vielleicht veranlasst es ihn zu größerer Vorsicht – vielleicht treibt es ihn aber auch sofort zu verzweifelten Maßnahmen. Wie die meisten klugen Verbrecher vertraut er möglicherweise zu sehr auf seine eigene Klugheit und bildet sich ein, dass er uns vollständig hinters Licht geführt hat.«
»Warum sollen wir ihn denn nicht auf der Stelle festnehmen?«
»Mein lieber Watson, Sie sind ein geborener Mann der Tat! Ihr Instinkt treibt Sie stets dazu, irgendetwas Energisches zu tun. Aber setzen wir einmal – nur beispielsweise – den Fall, wir ließen ihn noch in dieser Nacht festnehmen –, was in aller Welt würde uns das nützen? Wir könnten nichts gegen ihn beweisen! Das ist eben die teuflische Schlauheit seines Verbrechens! Wenn er sich eines Menschen als Werkzeug bediente, könnten wir auf ein Zeugnis von diesem rechnen, aber wenn wir diesen großen Hund ans Tageslicht ziehen, genügt das noch lange nicht, um seinem Herrn den Strick um den Hals zu legen.«
»Aber es liegt doch ganz ohne Frage ein Fall vor, der reif fürs Gericht ist!«
»Keine Ahnung! Alles ist nur Voraussetzung und Mutmaßung. Wir würden vom Gericht ausgelacht werden, wenn wir mit einer solchen Geschichte und mit derartigen Beweisen zum Vorschein kämen.«
»Aber Sir Charles’ Tod?«
»Tot aufgefunden ohne Zeichen von Gewalttat an seinem Körper. Sie und ich, wir wissen, dass er durch Angst starb, und wir wissen, was ihm solche Angst einjagte. Aber wie sollen wir unsere Überzeugung zwölf beschränkten Geschworenen beibringen? Was für Spuren sind vorhanden, die auf einen Hund deuten? Wo sind die Spuren seiner Fangzähne? Wir natürlich, wir wissen, dass ein Hund keinen Leichnam beißt, und dass Sir Charles tot war, ehe die Bestie ihn einholte. Aber wir müssen dies alles beweisen, und wir sind nicht in der Lage, dies zu tun.«
»Dann aber der Vorfall von heute Abend?«
»Der nützt uns auch nicht viel mehr. Wiederum war kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Hund und dem Tod des Mannes vorhanden. Wir haben den Hund niemals gesehen. Wir hörten ihn; aber wir könnten nicht beweisen, dass er den Mann verfolgte. Beweggründe des Verbrechens fehlen gänzlich. Nein, werter Freund – wir müssen uns mit der Tatsache aussöhnen, dass wir augenblicklich noch keine Sache haben, die fürs Gericht reif ist, und dass wir daher alles wagen müssen, um uns das Beweismaterial zu beschaffen.«
»Und was gedenken Sie zu diesem Zweck zu tun?«
»Ich setze große Hoffnungen darauf, dass Mrs Laura Lyons uns ihren Beistand leiht, wenn der Stand der Dinge ihr klar gemacht wird. Und außerdem habe ich noch meinen eigenen Plan. Für morgen haben wir also genug Wichtiges vor; aber ich hoffe, ehe der Tag zur Rüste geht, wird der Sieg endlich mein sein!«
Ich konnte nichts weiter aus ihm herausbringen, und er wanderte, in Gedanken versunken, an meiner Seite bis ans Tor von Baskerville Hall.
»Kommen Sie mit herauf?«
»Ja; ich sehe keinen Grund, warum ich mich noch länger verstecken sollte. Aber noch ein Wort, Watson! Sagen Sie zu Sir Henry nichts
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