Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
Vom Netzwerk:
gekonntem Schwung mein linkes Bein über die hölzerne Bettkante und zog mich mit beiden Armen nach oben. Diese akrobatische Übung erforderte die größte Kraftanstrengung. Ich schwang mich zur Seite,ließ mich abrollen und knallte auf die Dielen. Mein Sturz wurde von einem Teppich abgemildert. Ich war den weichen Pfühlen glücklich entkommen. Nachdem der Schmerz nachgelassen hatte, kleidete ich mich an und klopfte an die Tür meines Freundes Holmes.
    Er öffnete sofort, war aber in verdrießlicher Laune. Die drei Pfeifen hatten – wie geahnt – bei Weitem nicht ausgereicht.
    »Ich gehe schon hinunter in die Schankstube«, meinte ich zu ihm. »Kriminalinspektor Belzig muss jeden Moment eintreffen. Soll ich dir eines dieser berühmten, deutschen Biere bestellen, die wir unlängst in der
Mulackritze
[ 2 ] genießen durften und deren Geschmack stark an Pferdepisse erinnert?«
    »Das wird nicht nötig sein. Ich komme gleich mit«, entgegnete er mürrisch.
    Im Gastraum suchten wir uns einen freien Tisch in der hinteren Ecke, um ungestört plaudern zu können. Unser deutscher Gefährte war bislang noch nicht erschienen.
    Allmählich besserte sich die Gemütslage meines Freundes wieder. Er musterte mich prüfend vom Scheitel bis zur Sohle und stellte fest: »Deine Einkäufe waren erfolgreich, wie ich sehe. Und du hast ein Bad genossen. Bist du mit dem Service zufrieden? Kannst du ihn weiterempfehlen?«
    Ich lächelte. »Diesmal sind deine Beobachtungen weniger spektakulär als sonst, Holmes. Ich würde sie noch nicht einmal elementar nennen, so sehr liegen sie auf der Hand. Unsere Zimmer befinden sich nebeneinander und sind nur durch eine dünne Wand voneinander getrennt. Vielleicht hast du auch zum Fenster hinausgeschaut und beobachten können, wie ich reich bepackt aus der Stadt heimkehrte. Oder spielst du etwa darauf an, dass ich inzwischen meinen strengen Geruch verloren habe, den ich mir in dem stinkenden Gefangenenkarrenund in der von Ungeziefer verseuchten Zelle in Polizeigewahrsam zugezogen hatte?« Ich drohte ihm scherzhaft mit dem Zeigefinger.
    »Nicht doch, mein lieber Freund, ich wollte dir nicht zu nahe treten, ganz im Gegenteil. Deine Haut glänzt noch immer so rosig, und deine Rasur ist so porentief, wie sie es nur nach einem ausgedehnten heißen Bad sein kann. Außerdem trägst du jetzt deinen besten Anzug, der bis dahin dein Heiligtum gewesen war. Das bedeutet, dass er an die zweite Stelle gerückt sein muss, weil er einem noch besseren Platz gemacht hat. Anderenfalls würdest du jetzt deinen gewohnten alten Anzug tragen. Du hattest einen ganzen Tag lang Zeit, ihn vom Hausgesinde ausbürsten, reinigen und bügeln zu lassen. Aber mit dem guten Stück war auch ohne unsere gestrigen Eskapaden nicht mehr viel los gewesen. Der Hosenboden schien schon reichlich abgewetzt zu sein. Er hing dir bis in den Schritt hinab. Die Knie waren ebenso ausgebeult wie die Jackentaschen, und die diversen Mottenlöcher am Kragen ließen sich nur schwerlich übersehen.«
    »Aber was ist mit meinen Schuhen?«, entgegnete ich und reckte mein linkes Bein in die Höhe. »Sieh her, diese Treter besitze ich seit gut zehn Jahren. Sie wurden mehrfach frisch besohlt und werden mir noch lange Zeit gute Dienste leisten.«
    »Deine alten Stiefel waren von den Ratten völlig zerfressen worden. Da hätte auch der beste Schuhmacher nichts mehr ausrichten können. Also hast du dir neue gekauft. Sie müssen angefertigt werden und werden erst in den nächsten Tagen geliefert.«
    »Das klingt alles sehr logisch«, wandte ich ein. »Aber vielleicht habe ich mir gar nichts gekauft, sondern nur beschlossen, mich von dem alten Plunder zu trennen, weil er mich unnötig belastet?«
    »Mein lieber Doktor, du beleidigst meine Intelligenz. Ich kenne dich schon eine halbe Ewigkeit. Genauer gesagt seit dem Januar 1881. Damals mangelte es dir ebenso wie mir an ausreichenden Einkünften. Wir beide brauchten eine preisgünstige Bleibe. Du hattest von dem jungen Dr. Stamfort erfahren, dass ich einen Mitmieter für eine möblierte Wohnung suchte. Dein früherer Assistenzarzt hat uns beide im St. Bartholomew Hospital zusammengebracht. Wir mieteten uns dann gemeinsam bei der guten Mrs. Hudson in der Baker Street 221 B ein. Uns gehörten zwei gemütliche Schlaf-und ein gemeinsames Wohnzimmer. Das war vor immerhin zweiunddreißig Jahren gewesen. In dieser langen Zeit habe ich dich ganz genau kennengelernt. Und zwar gründlich genug, um zu wissen, dass du ein Pedant

Weitere Kostenlose Bücher