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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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Landespolizeibehörden geschickt. Vergeblich. Die Antworten sind allesamt negativ ausgefallen. Wir müssen mit unserer Arbeit praktisch bei null anfangen. Zwar sind uns der Name des Täters und sein Motiv bekannt, hingegen…«
    Holmes unterbrach ihn. »Wir haben noch den ganzen Abend lang Zeit, um in aller Ruhe nach Lösungsansätzen für diesen spannenden Kriminalfall zu suchen. Zuförderst müssen Sie jedoch etwas Kräftiges essen und trinken, damit Sie wieder etwas Farbe ins Gesicht bekommen. Was darf ich Ihnen bestellen? Sie sind selbstverständlich unser Gast.«
    »Zu gütig. Ich nehme eine Rinderroulade in Aspik, die ist hier besonders lecker. Dazu passt ein Viertel Szamorodner. Das ist ein aromatischer, feuriger Wein aus den Tokajer Bergen in Ungarn. Der Appetit auf Bier ist mir heute gründlich verdorben worden.«
    Holmes parlierte sofort aus dem Stehgreif über die ungarischen Weinanbaugebiete bei Tarczal, Tálya, Mád und Tokaj sowie über die Weinsorten Másláser, dreibuttigen, gezehrten Wein, Muskatellerausbruch, Furmint und Mehlweißer.
    Für mich waren das alles böhmische Dörfer. Ich verstand davon nicht das Geringste. Aber der Monolog meines Freundes diente ohnehin nur als leichtes Tischgespräch zur Überbrückung, während Hartmann Belzig sich ausgiebig stärkte und mit dem Kelch voll von sonnengereiftem Wein nachspülte.
    Nachdem unser Kellner die Schüsseln abgeräumt hatte, öffnete ich mein hellbraunes Zigarrenetui, welches – wie ich bereits einmal an früherer Stelle erwähnt hatte – aus dem Holz der Westindischen Zedrele gefertigt und mit weichem Chamoisleder überzogen war. Ich erfreute mich einen Augenblick lang an dem dezenten Duft, der mir entgegenströmte, und verteilte dann die Rauchwaren.
    Der Inspektor prüfte seine Zigarre sorgfältig. Er roch daran und ließ sie am Ohr knistern. Dann meinte er mit Kennermiene: »Oh, eine gute
Entreactos
. Der Tag ist also doch ganz nicht umsonst gewesen.«
    Holmes kam zum Thema zurück. »Wir mögen zwar momentan in völliger Finsternis umhertappen, einen Hinweis gibt es freilich doch. Als wir gestern Colonel Moran Auge in Auge gegenüberstanden, erwähnte er, dass er im
Königlich Sächsischen Anzeiger
über unsere Berliner Abenteuer gelesen habe. Kennen Sie diese Zeitung?«
    »Kennen wäre zu viel gesagt. Ich weiß, dass es sie gibt. Die Redaktion befindet sich in Dresden. Dort wird das Blatt auch vertrieben. Es ist eine reine Regionalzeitung.«
    Deutsche Geografie hatte noch nie zu meinen Stärken gehört. Deshalb fragte ich nach: »Wie weit liegt dieses Dresden von Leipzig entfernt? Gehört es noch zu Deutschland? Ist es eine große Stadt?«
    Der Inspektor überlegte eine Weile. Dann antwortete er: »Nun, bis dorthin werden es etwa hundertzwanzig Kilometer sein. Wie viele Meilen das sein mögen, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Dresden wird liebevoll das ›deutsche Florenz‹ oder auch ›Elbflorenz‹ genannt. Das resultiert aus seiner anmutigen Lage in einer reizenden Talsohle, die an Italien erinnernde Ufersilhouette der Elbe und die reichen Kunstschätze der Stadt. Dresden hat schätzungsweise500.000 Einwohner. Zum Vergleich: Das sind nahezu so viel wie Leipzig oder ein Viertel der Berliner Bevölkerung. Von ihrer Konfession her sind die meisten Einwohner Lutheraner. Es gibt nur eine Handvoll römisch-katholische Gläubige und noch weniger Juden. Allerdings leben zahlreiche Ausländer in der Stadt. Die meisten stammen aus Österreich-Ungarn. Das mag auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, aber Dresden, Prag, Wien und Budapest wirken von ihren äußeren Erscheinungsbildern her wie Schwesternstädte. Trotzdem sie in verschiedenen Ländern liegen, verbindet sie mehr, als sie trennt. Das wird vor allem in der Architektur deutlich. Dresden ist die Residenz und die Hauptstadt des Königreichs Sachsen. Allerdings wird in Dresden ein anderes Sächsisch gesprochen als in Leipzig. Die Dresdner sind außerdem wesentlich maulfauler und viel unfreundlicher als die Leipziger. Überdies haben sie nicht deren feinen Sinn für Humor. Das behaupten jedenfalls die Messestädter. Die Dresdener sehen das natürlich ganz anders.« Kurz lächelte er vor sich hin, fuhr dann aber fort: »Aus diesen wenigen Andeutungen können Sie bereits ersehen, dass die Liebe zwischen den beiden Städten nicht sonderlich groß ist. Das verhält sich ähnlich wie auf dem flachen Land. Wenn da die Dorfjugend in den Nachbarort zur Kirmes geht, setzt es auch gleich

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