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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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dir der Name Morti etwas?«
    »Nein, nicht das Geringste.«
    »Die Morti-Werke sind eine bekannte deutsche Tabakfabrik in Dresden. Sie stellen unter anderem eine starke türkische Zigarette mit einem metallisch glänzenden Pappmundstück her, die deshalb
Morti-Gold
genannt wird. Sie ist nur für gutes Geld zu haben und wird aus diesem Grund ausschließlich von der feinen Gesellschaft gekauft. Der Firmengründer war ein gewisser Jakob Morti. Er ist vor einem guten Dutzend Jahren verstorben, und zwar ganz genau am 4. Mai 1891. Die Geschäftsleitung hat jetzt sein Bruder Ray Morti inne.«
    »Auch dieser Name ist mir gänzlich unbekannt.«
    »Dann will ich dir ein wenig auf die Sprünge helfen. Wie du dich sicherlich erinnern wirst, fand am 4. Mai 1891 am Reichenbach-Wasserfall ein Zweikampf auf Leben und Tod statt, und zwar zwischen Professor James Moriarty und mir [ 2 ] . Das Match ging glücklicherweise zuungunsten des Verbrechers aus.«
    »Schon, schon, aber was hat das eine mit dem anderen zu tun? An jedem Tag sterben überall auf der Welt Hunderttausende Menschen. Am 4. Mai 1891 hat uns außer deinem Widersacher beispielsweise auch die weltberühmte russische Spiritistin Helena Petrowna Blavatsky für immer verlassen.«
    »Erlaube mir bitte, dich zu korrigieren. Die Begründerin der
Esoterischen Sektion der Theosophischen Gesellschaft
ist zwar viel zu früh den Weg alles Irdischen gegangen, doch das geschah am 8. Mai 1891, also erst vier Tage nach dem bewussten Datum. Doch darauf kommt es gar nicht an, denn Madame Blavatsky liegt völlig neben dem Thema. Also zurück zu Professor James Moriarty. Ad eins: Der Vorname des verblichenen Tabak-Fabrikanten Jakob Morti geht auf den biblischen Patriarchen Jakob zurück. Die englische Form von Jakob ist James. Ad zwei: Mein bester Feind liebte Anagramme, also Wortspiele, bei denen in einem Begriff die Reihenfolge der Buchstaben vertauschtwird. Auf diese Weise pflegte er schon seit frühester Jugend geheime Botschaften zu verschlüsseln. Ich nehme an, dass sein Bruder diese Tradition fortgesetzt hat, indem er den Familienamen Moriarty in Ray Morti verwandelte, passend zur Orientzigarette. Ad drei: Ray Morti heißt mit zweitem Vornamen Seamus. Seamus wiederum ist die irische Entsprechung für James bzw. Jakob und bedeutet ›einer, der ersetzt‹ oder ›jener, welcher an die Stelle eines anderen tritt‹. Nomen est omen: Ray Seamus Morti ist an die Stelle seine Bruders Jakob Morti getreten. Oder mit anderen Worten: Ich glaube, nein, ich bin mir ziemlich gewiss, dass der lebende Ray Morti den in den Reichenbach-Wasserfällen zu Tode gekommenen Professor James Moriarty ersetzt hat.«
    »Na so etwas, tatsächlich! Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir wieder ein: Professor Moriarty hatte zwei Brüder, von denen der eine Stationsvorsteher und der andere ein Colonel war. Letzterer hieß kurioserweise ebenfalls James mit Vornamen, was auf Eltern mit besonders schlichtem Gemüt oder außergewöhnlich geringem Einfallsreichtum schließen lässt. Und eben dieser Colonel James Moriarty war es gewesen, der in der Zeitung in einem Leserbrief das Andenken seines Bruders zu verteidigen versuchte. Diese Infamie brachte mich überhaupt erst dazu, die Geschichte
Das letzte Problem
aufzuschreiben, sozusagen als einen Gegenentwurf zu seinen Lügenmärchen. Und du denkst wirklich, Seamus Ray Morti könnte ein längst tot geglaubtes Gespenst aus der Vergangenheit sein, nämlich Colonel James Moriarty?«
    »Bislang ist es eine Hypothese – nicht mehr und nicht weniger.«
    »In früheren Zeiten bist du ein erbitterter Feind von voreilig gezogenen Schlüssen gewesen. Was hat diesmal deinen Sinneswandel bewirkt? Das Alter? Der Ruhestand?«
    Holmes runzelte ärgerlich die Stirn. »Ich benutze lediglich eine Annahme als Hilfsmittel der Erkenntnis. Wie schon gesagt: Ich glaube nicht an Zufälle. Alles hängt irgendwie zusammen. Wir haben nun eine heiße Spur. Es lohnt sich, sie zu verfolgen. Und falls sie uns in die Irre führen sollte, schadet das auch nichts. Unterdessen haben wir in Dresden Land und Leute kennengelernt. Den echten Colonel Moriarty habe ich übrigens schon einmal getroffen. Es war nur eine flüchtige Begegnung. Es gibt nichts Bemerkenswertes darüber zu berichten. Aber ich kann ihn dennoch ein wenig einschätzen. Er mag vielleicht kein solches Genie sein, wie der Professor eines gewesen war. Doch wenn er von seinen Vorvätern nur einen Bruchteil der verbrecherischen Gene seines

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