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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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Bruders vererbt bekommen hat, dann wird er dessen abscheuliches Werk zu vollenden versuchen. Vorhin haben wir so trefflich über das Alter geplaudert. Ja nun, schockschwere Not, wir werden vergesslich und haben das Recht, wunderlich zu sein. Auch meine Verstandeskräfte lassen nach. Sonst wäre ich schon viel früher auf des Pudels Kern gestoßen, und es hätte nicht eines Flintenschusses bedurft, um mich endlich wachzurütteln.«
    Ich hob meinen Zeigefinger. »Holmes, du nimmst dir die Sache zu sehr zu Herzen. Das ist nie gut. Du musst einen kühlen Kopf bewahren.«
    »Das werde ich, mein Freund, das werde ich. Aber vergiss bitte nicht: Colonel Moran hat bereits zweimal auf mich geschossen. Einen dritten Versuch werde ich sicherlich nicht überleben. Deshalb habe ich allen Grund, die Sache persönlich zu nehmen.«
    Wir wurden unterbrochen. Ein Zugrevisor in blauer Uniform mit blitzenden Knöpfen öffnete die Abteiltür. Er trug einen gezwirbelten Schnurrbart und eine runde Brille. Seinviel zu kleiner, aber kugelrunder Kopf erinnerte mich an eine Erbse. »Bidde de Fahrgardn zur Gondrolle.«
    Der Inhalt der Botschaft war klar, auch wenn ich die Worte nicht verstand. Ich fingerte die beiden kleinen, länglichen Pappstücke aus meiner Westentasche und gab sie dem Mann. Die Fahrkarten waren gelb und trugen eine rote, senkrechte Linie. Das bedeutete Erste Klasse und Schnellzug.
    Der Revisor musterte unsere Eisenbahnbillette und prüfte aufmerksam die Aufdrucke, die genaue Auskunft über die Gültigkeitsdauer und das Fahrziel gaben. »De Herrschafden wolln nach Dreesdn?«, fragte er. »Sehr scheene. Bleim Se länger? Da gannsch Ihnn de Gönigin-Garola-Brügge empfehln dun. Die is wirglich e Gleinod.«
    Wir verstanden noch immer kein einziges Wort, bedankten uns aber sehr herzlich bei dem guten Mann. Ich komplementierte den Erbsenkopf nach draußen und schob ihm eine Zigarre in den Mund, damit er endlich die Klappe hielt.
    Dann setzte ich mich wieder hin und fragte: »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, du hast gewiss schon einen Plan. Wie lautet er?«
    »Er ist zwar etwas heikel, könnte aber trotzdem funktionieren.«
    »Dürfte ich noch etwas mehr erfahren, als diese floskelhaften Andeutungen? Was führst du im Schilde?«, insistierte ich nun in einem wesentlich schärferen Tonfall, denn mir schwante nichts Gutes.
    Holmes seufzte. »Ich will nicht länger damit hinter dem Berg halten. Über kurz oder lang musst du es ja doch erfahren. Im
Königlich Sächsischen Anzeiger
habe ich außer diversen Artikeln über Seamus Ray Morti auch mehrere Annoncen gefunden, die er in Auftrag gegeben hat. Als wohlbeleumundeter Inhaber einer Tabakwarenfabrik verfügt er zwar über die perfekte Tarnung,aber er hat offensichtlich Schwierigkeiten mit dem Personal. Das hat wahrscheinlich etwas mit seinen Gepflogenheiten zu tun. Entweder ist er zu knauserig oder zu herrschsüchtig. Peu à peu sucht er nach neuen Bediensteten. Derzeit ist bei ihm die Stelle eines Kammerdieners vakant.«
    Das roch nach mächtig viel Ärger. Mir stieg bereits die Galle hoch. Zunächst einmal stellte ich mich dumm: »Interessant. In Leipzig hast du einen maulfaulen Capulet [ 3 ] und in Berlin einen dreckverkrusteten Vertreter der Unterschicht [ 4 ] gegeben. Diese beiden Rollen waren dir wie auf den Leib geschrieben. Jeder hat sie dir gerne abgenommen. Aber, mit Verlaub gesagt, dem Ebenbild eines britischen Butlers entsprichst du mitnichten.«
    »Ganz meine Meinung, mein lieber Doktor, ganz meine Meinung.«
    Nun war die Katze aus dem Sack. Ich glaube an die Magie der Worte, aber nun war ich fast sprachlos. »Damit willst du doch nicht etwa andeuten, also, ich soll gewiss nicht ernsthaft…«, begann ich zu stottern.
    »Allerdings, ganz genau. Du stellst die ideale Besetzung für einen Kammerdiener dar. Du bist im richtigen Alter, verfügst über eine entsprechende Statur sowie den passenden Schnurrbart und kennst die Sitten bei Tische.«
    Als Folge dieser Zumutung setzte bei mir die einzig adäquate Reaktion ein, nämlich die der brüsken Ablehnung: »Ich besitze keinerlei Erfahrung in diesem Metier. Selbst als Student habe ich es vermeiden können, kellnern zu müssen, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen meiner Kommilitonen.«
    »Papperlapapp«, winkte Holmes ab. »Als Butler hast du nichts auszustehen. Du sitzt die meiste Zeit in der Küche, und die Kaltmamsell traktiert dich mit dicken Butterbrotenund frisch gebrühtem Kaffee. Ansonsten schleichst du auf

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