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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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im Gegenteil zu mir beherrschte er die Kunst des Querlesens.
    Ich begann wahllos in den Zeitungen zu blättern und hoffte auf eine Eingebung. Schon nach kurzer Zeit hatte ich herausgefunden, dass es sich bei dem
Königlich Sächsischen Anzeiger
um ein übles Wurstblatt handelte. Eine große Portion Gesellschaftsklatsch wurde mit Kochrezepten und Modeberichtenzu einem schwer verdaulichen Brei vermischt. Zum Ausgleich gab es zahlreiche großformatige Fotografien von leidlicher Qualität. Der außenpolitische Teil war mehr als dürftig, und die Innenpolitik kam nur am Rande vor. Dafür nahmen lokale Polizeiberichte ganze Seiten ein. Sie strotzten vor Mutmaßungen und unbewiesenen Behauptungen, die oftmals im krassen Gegensatz zu den spärlichen Fakten standen. Dementis gab es keine, auch wenn ein, zwei Ausgaben später völlig unverfroren das ganze Gegenteil behauptet wurde. Offensichtlich litten die Leser dieser Zeitung unter einem permanent schlechten Gedächtnis.
    Nach einer Weile begannen meine neuen Schuhe zu drücken. Sie waren mir weit vor der Zeit, nämlich bereits zum Frühstück, ins Hotel geliefert worden. Vielleicht war der Leim zu schnell getrocknet. Ich bekam Durst und verspürte ein menschliches Bedürfnis. Mein Magen knurrte. Ein Schweißtropfen rann mir aus dem Haaransatz über die Stirn und tropfte die Nase herab. Meine Augen fingen an zu brennen. Der Staub reizte meine Lungen. Ich schwitzte und fröstelte zugleich. Die Geräusche um mich herum begannen mich zu peinigen: das Räuspern der Saalaufsicht, das Knistern beim Umschlagen der Seiten, das Quietschen der Räder vom Schiebewägelchen, das Ticken der runden Uhr über dem Eingang, das Zischen der Gaslampen.
    Schließlich hielt ich es nicht länger aus. Ich sprang auf wie von der Tarantel gestochen, winkte Holmes zu, der mich erstaunt ansah, und ergriff die Flucht nach draußen. In den Waschräumen benetzte ich mein Gesicht mit kaltem Wasser und trank einen Schluck aus meiner Taschenflasche. Mein Pulsschlag normalisierte sich allmählich wieder. Ich ging nach draußen auf die Straße, setzte mich auf eine Bank und rauchte in aller Ruhe eine Zigarre.
    Vielleicht war mein vorübergehendes Unwohlsein ein Resultat des Alkoholkonsums vom Vortag gewesen. Auf das letzte Glas Genever hätte ich wohl besser verzichten sollen. Schließlich hatte ich mich so weit gefangen, dass ich neuen Mutes in den Lesesaal zurückkehren konnte.
    Holmes war offensichtlich noch nicht fündig geworden. Er wirkte reichlich fahrig.
    Ich erkannte an ihm ähnliche Symptome, wie sie mich vor Kurzem gepeinigt hatten. »Als dein Arzt rate ich dir, eine kurze Pause einzulegen und nach draußen zu gehen. Danach kommst du gleich viel besser voran.«
    Mein Freund nickte zustimmend. Er erhob sich und reckte seine dürren Glieder, dass es nur so knackte.
    Ich blätterte gelangweilt in einer Ausgabe des
Königlich Sächsischen Anzeigers
vom 13. März 1913. Plötzlich erregte ein großformatiger Artikel mit zahlreichen Illustrationen mein Interesse. In dem Beitrag stand unter der Überschrift
Willkommen Menschenretter!
, dass der weltberühmte Arzt, Therapeut und Heilkünstler Dr. Alexander von Schleuben-Aumont in Dresden ein Sanatorium eröffnet habe. Der Mediziner wurde mit den folgenden Worten zitiert:
»Jede Krankheit des Körpers ist nur eine Krankheit der Seele. Sobald die Seele genesen ist, werden auch alle übrigen Gebrechen vergehen.«
Dieses Ziel könne bei nahezu jedem Kranken erreicht werden, so meinte jedenfalls der Autor, wenn nach einer eingehenden Diagnose die verschiedensten okkulten Verfahren wie Astrosophie [ 5 ] Ätherisches Sehen [ 6 ] , Chiromantik [ 7 ] , Geistheilung [ 8 ] und Mesmerismus [ 9 ] , aber auch Psycho-sowie Elektrotherapie, Gymnastik, Massagen und Kneipp-Kuren zur Anwendung kämen, denn
». . . die All-Fluten, also die Ströme des Allgemein-Flüssigen, wirken auf den innersten Organismus ein und bestimmen seine Verrichtungen«
.
    Dies alles war natürlich ausgemachter Unsinn, ganz im Duktus der übrigen Artikel vom
Königlich Sächsischen Anzeiger
. Vor allem verwunderte mich, dass der mir völlig fremde, aber angeblich weltberühmte Arzt, Therapeut und Heilkünstler Dr. Alexander von Schleuben-Aumont neben seinem okkulten Mumpitz auch allgemein anerkannte Behandlungsmethoden anwenden wollte. Seit meiner Begegnung mit dem polnischen Medium wusste ich, dass die meisten Grenzwissenschaften mit einer Art Religion verknüpft waren, die keine anderen Götter

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