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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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Zehenspitzen durch das Haus, hüstelst gekünstelt, bevor du anfängst zu sprechen, und gibst Obacht, dass deine weißen Handschuhe nicht schmutzig werden. Außerdem kann es nicht so schwer sein, ein Silbertablett mit einem
Billet de faveur
[ 5 ] und zwei Visitenkarten vor dir herzutragen. Du musst nur aufpassen, nicht ständig über das von den Motten zerfressene Löwenfell vor dem Kamin zu stolpern.«
    Meine Miene hellte sich auf. »Das war eben das Stichwort. Ohne einige wohlmeinende Zeugnisse habe ich nicht die geringste chance, eingestellt zu werden.«
    Holmes begann mit Akribie, seine Pfeife zu stopfen. Er drückte den Tabak mit dem Daumen kräftig, aber nicht zu fest an, entzündete ein Schwefelhölzchen und schmauchte munter drauflos. Sekunden später verschwand er in einer dichten Qualmwolke. Mich quälte sofort ein starker Hustenreiz. Um halbwegs zu kontern, steckte ich mir eine Zigarre an. Unser Abteil verwandelte sich in eine Waschküche. Aber wir Briten sind ja Nebel gewohnt.
    Als meine Augen immer stärker zu brennen begannen, riss ich am Lederriemen des Abteilfensters und ließ es bis zur Hälfte heruntergleiten. Der kalte Fahrtwind brachte sofort Erleichterung.
    Holmes lächelte spöttisch. »Ganz genauso werden wir es machen. Wir errichten eine Nebelwand, hinter der du dich verstecken kannst.«
    »Wie soll das gehen?«
    »Bei einem Trödler kaufen wir uns einige Petschaften mit unterschiedlichen Initialen und mehrere Bögen verschiedenartigen Kanzleipapiers. Du wirst sehen, im Handumdrehen habe ich solch famose Empfehlungsschreiben fabriziert, dass dich selbst die Königliche Hoheit auf der Stelle engagieren würde.«
    Ich hatte keinen Zweifel daran, dass ihm diese Fälschungen perfekt gelingen könnten. Aber ich gab zu bedenken: »Wir leben im Zeitalter des Telefons. Ein Ferngespräch, und der Schwindel fliegt auf.«
    Holmes schlug sich mit der flachen Hand gegen seine Stirn. »Danke für den Hinweis. Ich hatte tatsächlich nicht gedacht, dass im neuen Jahrhundert auf jedes Zeugnis eine Telefonnummer gehört. Gleich nach unserer Ankunft in Dresden werde ich meinen Bruder Mycroft anrufen. Er muss das für uns arrangieren und mir einige der Nummern nennen, die im Außenministerium zu seiner persönlichen Verfügung stehen. Eine seine Sekretärinnen kann dann auf Verlangen die gewünschten Auskünfte über den bisherigen Lebenswandel des neuen Butlers geben. Wie möchtest du eigentlich heißen?«
    Ich glotzte ihn ungläubig an. »John Hamish Watson, wie sonst?«
    »Nein, das geht leider nicht. John kann bleiben. Das Hamish lassen wir weg. Der Nachname sollte mit einem W. beginnen, wegen der eingestickten Anfangsbuchstaben in deiner Leibwäsche. Welcher zweisilbige Name könnte dir gefallen?«
    »Woodland. Das klingt seriös. Aber mich bedrückt noch etwas ganz anderes: Was ist, wenn es sich um eine Falle handelt? Vielleicht wartet Colonel Moran hinter der Eingangstür von Ray Mortis Villa auf mich und schießt mir ohne jede Vorwarnung eine Kugel in den Kopf?«
    »Erstens wird er das ganz bestimmt nicht wagen. Außerdem bin ich die ganze Zeit in deiner Nähe. Zweitens werden wir uns zusätzlich absichern. Ich trage ein echtes Empfehlungsschreiben in meiner Tasche. Es stammt von Kriminalinspektor Belzig. Gleich nach unserer Ankunft melden wir uns in der königlichen Polizeidirektion. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn wir von dort keine Hilfe bekommen sollten. Und drittensstimmt die zeitliche Abfolge nicht. Das erste Stellenangebot ist am 3. Juni, das letzte am 19. Oktober im
Königlich Sächsischen Anzeiger
erschienen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir noch in Berlin. Kein Mensch konnte damit rechnen, dass wir die Annoncen jemals zu Gesicht bekommen würden.«
    Meine gute Spätsommerlaune sank trotzdem auf den Tiefpunkt. Ich fühlte mich wie der bedauernswerte Gemüsehändler William Blacksmith. Nur leider hatte ich im Moment kein Pferd zur Hand, das ich schlagen konnte.
    In diesem Moment flog mit einem Ruck die Abteiltür auf. Der Zugschaffner schob seinen kugelrunden Kopf in das Innere des Coupés und verkündete eine bis auf den Schluss schwer verständliche Botschaft: »In fimf Minudn sin mer in Dreesdn, Euer Hochwohlgeborn.« Die Tür schloss sich wieder und fiel krachend zu.
    »Ich glaube, das Wort ›Dresden‹ verstanden zu haben, und schlussfolgere daraus, dass wir in Kürze ankommen werden«, versuchte ich den unverständlichen Kauderwelsch zu übersetzen. Ich erhob mich, um nach meinem

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