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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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breiten Schultern.«
    »Gut geraten! Was noch?«
    »Sie sind romantisch veranlagt und verfassen Gedichte.«
    »Unsinn!«
    »Doch. Auf Ihrem Schreibtisch dort drüben steht zwar ein Tintenfass, aber kein Gefäß mit Gänsekielen. Also benutzen Sie für gewöhnlich eine Füllfeder, also einen mechanischen Federhalter mit einem Reservoir zum Aufnehmen von Tinte. Trotzdem haben Sie winzige, kleine Tintenkleckse an den Manschetten, wie sie häufig beim Ausschlagen eines Federkiels entstehen. Daraus folgt zwingend, dass Sie Ihren Füllfederhalter zu bestimmten Anlässen nicht benutzen. Dafür fallen mir nur zwei Gründe ein: nämlich das Verfassen von Liebesbriefen oder das von Gedichten. Da Ihre Gattin Sie gerade erst verlassen hat, kommen nur noch Gedichte infrage. Traurige Abschiedsgedichte voller Weltschmerz, aufsteigendem Nebel und kahlen Bäumen im fahlen Mondlicht.«
    »Fabelhaft, wirklich fabelhaft«, lobte ihn der Geheime Polizeirat. Er schien es damit ernst zu meinen.
    Mir fiel ein Stein vom Herzen. Holmes hatte sich ziemlich weit vorgewagt. Manche Menschen mögen es überhaupt nicht, wenn in der Öffentlichkeit ihr Innerstes nach außen gekehrt wird.
    »Nun gut, kommen wir zum Abschluss. Hier habe ich Ihnen meine Telefonnummern aufgeschrieben – jene vom Amt und die von mir zu Hause. Sie können mich rund um die Uhr erreichen – außer, wenn ich beim Rudern auf der Elbe unterwegs bin oder in meiner einsamen Dichterkemenateoben unterm Dach sitze. Rufen Sie mich morgen Mittag an. Dann kann ich Ihnen bereits sagen, ob der Name Ray Morti in einer der Karteien verzeichnet steht.« Der Geheime Polizeirat erhob sich und gab uns zum Abschied die Hand. »Bitte seien Sie vorsichtig. Es würde mich sehr betrüben, wenn Ihr letztes Abenteuer in Dresden vorzeitig durch eine Kugel endet. Ich möchte zwar gerne in die Geschichte eingehen, aber nicht als jener Polizist, dem der große Meisterdetektiv zum letzten Mal lebend begegnet ist.«
    Holmes erwiderte: »Vielen Dank für die freundlichen Worte und die zugesagte Unterstützung. Eine Bitte habe ich jedoch noch. Wir wollen Dr. Watson im Haus des Zigarettenfabrikanten auf eine dementsprechende Annonce hin als Butler unterbringen. Dazu muss ich noch einige fingierte Empfehlungsschreiben anfertigen. Könnten Sie uns bitte einen Raum zuweisen, in dem wir für eine Weile ungestört arbeiten können?«
    »Meine Herren, das kommt überhaupt nicht infrage«, lehnte von Lauschbach-Hecker dieses Ansinnen brüsk ab. »Wir befinden uns hier in der Königlich-Sächsischen Polizeidirektion und nicht in einer Hilfsschule für schwach begabte Kinder. Hier werden nicht von notleidenden Ausländern auf eine dilettantische Art und Weise falsche Dokumente fabriziert. Folgen Sie mir auf der Stelle! Ich bringe Sie zu dem Polizeioffizianten Treuwerth Alvensleben. Er ist unser Handschriftenspezialist. Sie können ihm die Texte direkt in die Feder diktieren. Er beherrscht Hunderte Handschriften aus dem Effeff [ 3 ] und verfügt über ein ganzes Arsenal der unterschiedlichsten Papiersorten.«
    [ 1 ] Wrangel-Insel im russischen Polarmeer; Wrangel Island in Alaska; Wrangel-Mountains; Vulkan Mount Wrangel in den Wrangel-Mountains; Stadt Wrangel in Alaska.
    [ 2 ] Friedrich August III. dankte am 13. November 1918 auf Schloss Guteborn bei Ruhland in Brandenburg als König ab. Von ihm soll der Ausspruch stammen: »Machd doch eiern Drägg alleene.«
    [ 3 ] Der Ausspruch leitet sich von dem lateinischen Begriff »ex forma, ex functione« ab. Wer nicht nur die Form beschreibt, sondern auch die Funktion beherrscht, kann etwas aus dem Effeff.

5. Kapitel
In geheimer Mission
    Es war nichts Mystisches an Holmes.
    Er sammelte Fakten und zog daraus
seine Schlussfolgerungen.
    Isaac Asimov,
Das ultimative Verbrechen

I CH , DER B UTLER
    Aus den Aufzeichnungen von Dr. Watson
    24.10.1913, Dresden
    Ich stand in der Borsbergstraße direkt vor der Morti-Villa und betrachtete das gewaltige Anwesen. Es wirkte solide, kompakt und quadratisch. Allerdings fehlte ein Vorgarten mit kiesbestreuter Auffahrt und Springbrunnen. Ich fand das schade. Wahre Größe wirkt nur mit dem nötigen Abstand, und ein echtes Juwel kommt erst in einer schönen Fassung zur Geltung.
    Es gab auch kein Souterrain und kein Parterre. Der Bauherr hatte trotzdem nicht an Geld gespart. Der Gebäudesockel bestand aus kunstvoll behauenen Natursteinen. In das Mauerwerk waren schmale, vergitterte Öffnungen für die Kellerfenster eingelassen worden. An den

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