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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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Sockel schlossen sich zwei verklinkerte Obergeschosse an. Die Deckenhöhen der Etagen mussten beträchtlich sein, wie sich allein schon an den Ausmaßen der großen Ringbogenfenster erahnen ließ. Die Hausecken und die Fenstereinfassungen waren ebenfalls aus Natursteinen gemauert worden. Das mit roten Ziegeln gedeckte Dach besaß eine außergewöhnliche Form: Ganz oben war es flach. Die Seitenschrägen wiesen eine leichte Wölbung nach innen auf. Sie wurden durch eine mit mannshohenEckvasen bekrönte Balustrade begrenzt. Von dort oben hätte ein Betrachter sicherlich einen wunderschönen Ausblick über die Stadt gehabt. In Sachsen ein Schlotfeger zu sein, war vielleicht doch kein so schlechter Beruf.
    Da das herausgebaute Kellergeschoss zur Hälfte über dem Straßenniveau lag, konnte sich der Eingang nicht auf Höhe des Trottoirs befinden, sondern lag im ersten Stock. Die Haustür war über eine vorgelagerte Terrasse zu erreichen, zu der links und rechts neben dem Altan [ 1 ] zwei Treppen nach oben führten. Das dunkelbraune Portal sah schwer und sehr solide aus. Es schien aus wertvollen Tropenhölzern gefertigt worden zu sein und glänzte so sehr, dass ich mich darin spiegeln konnte. Die polierten Beschläge wirkten wie neu, als ob sie erst kürzlich das mir vom Namen her gut bekannte Messingwerk in Eberswalde verlassen hätten. Das gesamte Objekt strahlte eine klare Botschaft aus. Sie lautete: Der Eigentümer von diesem Besitztum ist reich, sehr reich sogar. Und wer ihm nicht das Wasser reichen kann, hat hier nichts verloren.
    Ich trug zum ersten Mal den in Leipzig erstandenen Anzug. Meine neuen Schuhe waren blank geputzt. Hut und Mantel hatte ich gründlich ausgebürstet und meinen Schnauzbart akkurat gestutzt. In der linken Hand hielt ich einen zusammengerollten Regenschirm. Von meinem äußeren Erscheinungsbild her wirkte ich wie der Inbegriff eines englischen Butlers. Trotzdem war mir mulmig zumute. Mein Magen begann zu rumoren. Das weitere Schicksal würde sich hinter dieser Türschwelle entscheiden. Sobald ich eingetreten war, konnte mir niemand mehr helfen. Von diesem Moment an war ich völlig auf mich alleingestellt. Selbst Holmes, der mich durch sein Fernrohr vom Dachfenster des Hauses gegenüber aus beobachtete, würde dann machtlos sein.
    Schließlich fasste ich mir ein Herz, winkte meinem Freund verstohlen zu und betätigte den bestickten Klingelzug neben der Eingangstür.
    Im Inneren des Hauses ertönte ein silberhelles Glöckchen. Lange Zeit passierte gar nichts. Dann vernahm ich ein leises Schlurfen. Das Geräusch wurde allmählich lauter. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Mehrere Riegel schnappten zurück. Die Tür öffnete sich.
    Vor mir stand ein uralter Mann. Er war unrasiert und trug eine mit Speiseresten befleckte, dunkelgrüne Livree von antikem Zuschnitt. Sein spärliches, schlohweißes Haupthaar war ungekämmt und zeigte in alle Himmelsrichtungen. Aus der Nase wucherten silberne Borsten, an ihrer Spitze hing ein durchsichtiger Tropfen. Die blassblauen Augen des Pförtners waren wässrig. An den Füßen trug er klobige Kamelhaarhausschuhe. »Sie wünschen?«, nuschelte er mit zahnlosem Mund.
    »Ich melde mich auf eine Anzeige im…« Weiter kam ich nicht.
    Der Alte murmelte etwas, das in meinen Ohren wie »Dienstboteneingang« klang, und knallte mir die Tür vor der Nase zu. Ich begann vor Empörung wie ein Maikäfer zu pumpen. Solch eine Unverschämtheit, und dies mir, einem anerkannten Doktor der Medizin! Meine Halsschlagader pochte. Ich betätigte zornbebend den Klingelzug. Vergebens. Die schlurfenden Schritte entfernten sich.
    Ich zählte ganz langsam bis zehn. Ein solcher Affront wäre für mich im normalen Alltag Grund genug gewesen, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Doch in diesem Fall musste ich die Zähne zusammenbeißen. Auf meine verletzten Gefühle kam es im Augenblick nicht an. Ich hatte eine Mission zu erfüllen.
    Ich ging die Treppe hinunter auf die Straße und sah mich um. Außer dem dunkelbraunen Portal konnte ich keinen weitere Tür entdecken. Die beiden Nachbarhäuser grenzten unmittelbar an die Villa. Zwischen den Brandmauern gab es keine Durchgänge. Ich schritt die gesamte Straßenfront ab. Nichts. Demzufolge musste sich der Dienstboteneingang an der Rückseite des Gebäudes befinden. Den Gesetzen der Logik zufolge war er über die nächste Parallelstraße in südlicher Richtung zu erreichen. Einen direkten Weg dorthin gab es nicht, er wurde von der

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