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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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ergeben. Also der Reihenach. Erst einmal tragen Sie weder eine Schutzbrille mit getönten Gläsern gegen zu starkes Sonnenlicht noch einen Strohhut noch einen mit Stocknägeln verzierten Stecken bei sich. Aber es gibt weitere Indizien. Wie ich beobachten konnte, blättern Sie in keinem Baedeker-Reiseführer, wie es die meisten Freizeitreisenden tun. Sie halten keine Landkarte in den Händen und starren nicht verzückt in die Flusslandschaft hinaus. Letzteres tun Sie nicht, weil Sie sich schon lange an ihre Schönheit gewöhnt haben.«
    »Sie haben eine Kleinigkeit übersehen: Nämlich den Feldstecher, den ich um meinem Hals trage.«
    »Wenn Sie hie und da durch Ihr Fernglas schauen, dann nicht, um sich an dem herrlichen Panorama zu erfreuen. Nein, Ihnen geht es um winzige Details. Sie erkunden den Fortschritt auf einer Hausbaustelle oder den Stand der Fällarbeiten in einem Waldstück. Dies bedeutet zweierlei. Zum einen, dass Sie sich hier gut auskennen, und zum anderen, dass Sie mehrere Wochen lang nicht zu Hause waren.«
    Unser Sitznachbar meinte verwundert: »Das ist starker Tobak. Sie können in mir lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. Ich erzähle Ihnen gleich alles, was Sie wissen wollen. Zuerst müssen Sie mir aber noch verraten, woher Sie die Sache mit der Kur wissen. So viel Zeit muss sein. Außerdem ist die Stadtgrenze noch nicht in Sicht.«
    »Nun, im Gesicht, am Hals und an den Händen sind Sie auf eine gleichmäßige Weise sonnengebräunt, wie es in diesen Breitengraden nur jemand sein kann, der mehrere Wochen lang tagtäglich ausgedehnte Spaziergänge am Meer unternommen hat. Der Rucksack dort diente zum Transport der Lunchpakete und einer undichten Trinkflasche, wie mir die Fettflecke und die Wasserränder offenbaren. Die Pausen zwischen Ihren Wanderungen haben Sie in einem Strandkorbmit jenem Stapel Bücher zugebracht, den Sie zusammengeschnürt bei sich tragen. Sie hatten genügend Zeit zum Lesen, denn obwohl sich reichlich schwere Kost darunter befindet, sind selbst bei den dicken Romanen alle Seiten aufgeschnitten.
Last but not least
befindet sich in Ihren Hosenumschlägen etwas feiner Sand, der sich auch mit dem unbewaffneten Auge leicht erkennen lässt. Eine Hausangestellte im Kurhotel war reichlich nachlässig. Sie hat Ihre Sachen nicht ordentlich ausgebürstet.«
    »Nun gut, das liegt ja alles auf der Hand. Doch Sie erraten keinesfalls, in welchem der zahlreichen Seebäder ich meine Badekur absolviert habe. War es Travemünde, die Insel Helgoland oder das schöne Binz auf Rügen?«
    »Die Frage nach dem richtigen Seebad ist einfach zu beantworten. Oder sollte das nagelneue Etikett mit der Aufschrift
Kaiserbad Heringsdorf
aus purem Zufall an Ihrem braunen Lederkoffer kleben?«
    Der Mann lachte und reichte uns die Hand: »Gestatten Sie, meine Herren. Mein Name ist Bruno Wohlfeil, Geheimer Regierungsrat aus Pillnitz. Bezüglich des pflichtvergessenen Dienstmädchens liegen Sie allerdings falsch. Kurz vor meiner Abreise war ich nämlich noch ein letztes Mal am Strand spazieren. Es wehte eine leichte Brise, die reichlich Sand aufwirbelte.«
    Nachdem auch wir beide uns vorgestellt hatten (freilich ohne unsere Profession und den wahren Grund unseres Ausflugs zu erwähnen), erfuhren wir von Bruno Wohlfeil so mancherlei interessante Details über die Gegend ringsum. Beispielsweise, dass in die grüne Hügellandschaft im Nordosten Orte mit seltsamen Namen wie Bühlau, Rochwitz und Wachwitz eingebettet waren. Wieder einmal musste ich konstatieren, wie viel leichter es sich durch das Leben kommenließ, wenn man nur seine Scheu überwinden konnte, auf fremde Menschen offen zuzugehen.
    Mit dem bloßen Auge konnten wir wunderbare Villen erkennen, die den Dresdner Prunkbauten in nichts nachstanden. In dieser wundervollen Flusslandschaft existierte also nicht
das
Elbflorenz, sondern es gab gleich mehrere davon. Wie die Glieder einer Perlenschnur lagen diese Kleinode aufgereiht vor uns. Ich kannte nicht viele Orte auf dieser Welt, wo ich gerne meinen Lebensabend verbracht hätte. Die Dresdner Umgebung stand von nun an mit ganz oben auf der Liste. Langsam begann ich zu verstehen, was James Moriarty und Colonel Moran hierhergezogen hatte.
    »Das dort drüben ist die berühmte Standseilbahn, die von Loschwitz hinauf zum Weißen Hirsch führt«, erklärte uns der Geheime Regierungsrat. »Sie wurde 1895 mit Dampfbetrieb eröffnet und vor vier Jahren auf elektrischen Strom umgestellt. In den Anfangsjahren diente

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