Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
Vom Netzwerk:
sie vor allem dazu, tagsüber Baumaterialien, Pferde und Rinder nach oben zu schaffen, und nachts, die in den Häusern eingesammelten Fäkalien nach unten zu transportieren. Links dort drüben können Sie die Schwebebahn erkennen. Sie verbindet die Ortschaften Loschwitz und Oberloschwitz. Der Begriff Schwebebahn ist allerdings völlig irreführend, denn die Bahn schwebt natürlich nicht, sondern sie hängt an festen Führungsschienen. Deshalb kann sie auch nicht herunterfallen.«
    Am nächsten Haltepunkt in Pillnitz gingen wir alle drei von Bord und ließen das Dampfschiff ohne uns weiter die Elbe entlangschippern. Bruno Wohlfeil empfahl uns noch ein gutes Speiselokal und zeigte uns den nächsten Halteplatz der Pferdedroschken. Dann verabschiedete er sich von uns mit freundschaftlichen Worten: »Wenn Sie einmal wieder in dieser Gegend weilen, kommen Sie mich bitte besuchen. Ichhabe ein großes Haus. Gäste sind bei mir immer herzlich willkommen.«
    Das schöne Wetter und die frische Luft versetzten mich in Wanderlaune. Ich hätte die Region gerne zu Fuß erkundet, aber das ging natürlich nicht. Bei den Droschken war die Auswahl nicht sehr groß. Ein Zweispänner mit offenem Verdeck kam nicht infrage, weil wir in ihm wie auf dem Präsentierteller gesessen hätten. Stattdessen nahmen wir ein schlichtes Coupé, also eine geschlossene, vierrädrige Kutsche. Wir hatten die Kabine für uns allein, währenddessen der Fahrer vorn auf seinem Kutschbock saß und ein fröhliches Liedchen pfiff. Er ließ die Peitsche knallen, der Braune wieherte, und ab ging die Post. Die eisenbereiften Räder ratterten über das Kopfsteinpflaster.
    Wir waren erst wenige hundert Yards weit gekommen, als unmittelbar vor uns auf einer Kreuzung zwei unvorsichtige Automobilisten mit ihren Kraftwagen zusammenstießen und den Weg versperrten. Unser Kutscher brüllte: »Brr, brr«, und kurbelte mit aller Macht an der Bremse. Mit Müh und Not brachte er die Droschke kurz vor der Unfallstelle zum Halten. Aus einem kaputten Kühler zischte der Dampf. Eines der beiden Automobile war umgestürzt. Seine Räder drehten sich quietschend weiter. Auch unser Pferd hatte sich – wie wir alle – heftig erschreckt. Nun, durch die Fortdauer der bedrohlichen Geräusche, geriet es in Panik. Es buckelte, keilte aus und ruckte heftig an dem Coupé.
    Der Kutscher war von der Situation völlig überfordert. Vor lauter Dummheit fiel ihm nichts Besseres ein, als mit seiner scharfen Peitsche auf den armen Gaul einzudreschen. Ich konnte diesen Frevel nicht mit ansehen. Mit einem Satz, der in Anbetracht meines Alters äußerst gewagt war, sprang ich hinaus auf die Straße, hangelte mich wie ein Artist auf den Kutschbockhinauf und versetzte dem Pferdeschinder eine kräftige Ohrfeige. Sie brachte ihn wieder zur Besinnung. Er glotzte mich verwundert an. Sein Mund blieb weit offen stehen.
    Das Pferd hingegen wurde noch nervöser. Es verdrehte die Augäpfel und stand kurz vor einem Kollaps. Glücklicherweise wusste ich, was ich in einem solchen Fall zu tun hatte. Ich stieg vom Kutschbock und näherte mich dem verängstigten Wesen von der rechten Seite her. Dank der stabilen Deichsel bestand dort kaum die Gefahr, von einem der Hufe getroffen zu werden. Ich beugte mich zum Kopf des traumatisierten Tieres hinunter und umfasste sein rechtes Ohr. Dann begann ich tröstend zu flüstern. Nach kurzer Zeit beruhigte sich das Droschkenpferd wieder. Es hörte auf zu zittern und zu stampfen. Sein Pulsschlag verlangsamte sich. Schließlich übermannte es eine Regung, wie sie auch den Menschen in Stresssituationen zu eigen ist: Es begann äußerst geräuschvoll (und ebenso geruchsintensiv) zu äpfeln.
    Nachdem ich wieder im Wagen saß, fragte mich Holmes: »War das eben ein Versehen, dass du an das Pferd von der rechten Seite aus herangegangen bist? Nach bewährter europäischer Tradition wird doch alles von links gemacht: Führen, Satteln, Auf-und Absitzen?«
    »Was viele Menschen schon seit langer Zeit tun, kann trotzdem falsch sein. Im Krieg in Afghanistan habe ich durch meine eigene Erfahrung herausgefunden, dass die Kommunikation mit einem Pferd von der rechten Seite aus viel einfacher ist. Beispielsweise konnten in meiner Einheit selbst die räudigsten Klepper sämtliche Soldaten an ihren Stimmen unterscheiden. Das klappte umso besser, wenn die betreffende Person rechts von den Pferden stand und sprach.«
    »Nun, das wird sicherlich etwas mit den beiden Hirnhälften zu tun haben. Die

Weitere Kostenlose Bücher