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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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Elbe entlang. Durch seinen Schaufelradantrieb ähnelte unser Schiff ganz entfernt einem Mississippi-Dampfer. Es war allerdings viel flacher, weil ihm die oberen Deckaufbauten fehlten.
    Bei dieser Exkursion handelte es sich, wie sich leicht denken lässt, um keine Vergnügungsreise. Es gab einen triftigen Grund für unseren Ausflug: Wir kannten die Gegend um das Sanatorium bislang lediglich von einer topografischen Karte im Maßstab 1:25.000. Ehe wir uns mitten in das feindliche Gebiet begeben konnten, mussten wir uns mit den örtlichen Gegebenheiten auch persönlich vertraut machen. Vom Wasser aus hatten wir die beste Sicht auf den Weißen Hirsch. Bei einer gefährlichen Mission wie der unsrigen brauchten wir auch Orientierungspunkte für mögliche Fluchtwege. Nur Narren verlassen sich auf ihr Glück oder die Kunst der Improvisation.
    Nachdem unser Dampfschiff abgelegt hatte, spazierten wir über das lang gestreckte Deck und schauten uns gründlichum. An diesem späten Herbsttag waren kaum noch Ausflügler unterwegs. Zwei von ihnen erkannte ich sofort wieder: Es waren die beiden Gauner, die mich am Vortag auf dem Dresdener Altmarkt belästigt hatten. Auch sie erinnerten sich an mich, wie ich an ihren Gesichtern ablesen konnte. Ich machte Holmes auf die Halunken aufmerksam. Möglicherweise gehörten sie zu Colonel Morans Bande.
    Mein Freund musterte sie aufmerksam. »Der Linke ist der Anreißer. Er verfügt über die nötige Empathie und ein großes Redetalent. Das sieht man an seiner Mimik und Gestik«, stellte er fest. »Der schmächtige Bursche an seiner Seite ist der Dieb. Er hat geschickte Hände und trainiert ständig, indem er ein Münze palmiert. Sieh nur, wie geschickt er sie zwischen seinen dünnen, langen Fingern hin und her wandern lässt. Wir können keinen Ärger gebrauchen, und wir dürfen nicht darauf vertrauen, dass sie uns keine Scherereien machen werden. Also sollten wir auf Nummer sicher gehen und sie verscheuchen, ehe die Sache eskaliert.«
    Ich folgte dieser Aufforderung nur zu gern und hob drohend meinen Knotenstock. Dieser Wink mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl wirkte sofort. Dem Langfinger fiel vor Schreck das Geldstück aus der Hand. An der nächsten Anlegestelle stiegen die beiden Schufte aus und gaben Fersengeld. Ich schaute mich unauffällig an Bord um und musterte die übrigen Passagiere, konnte aber keine weiteren verdächtigen Elemente feststellen.
    Wie ich bereits eingangs erwähnt hatte, war das Schiff nur mäßig besetzt. Das brachte den Nachteil mit sich, dass wir nicht in einer Menschenmenge untertauchen konnten. Aber es hatte den Vorteil, dass es selbst an der Reling auf der landschaftlich schöneren Seite noch genügend freie Plätze gab. Wir setzten uns einem älteren Mann gegenüber, der in seinengrünen Lodensachen wie ein Förster wirkte und außer einem Rucksack und einem zusammengeschnürten Bücherstapel noch zwei größere Handkoffer mit sich führte. Ab und zu hielt er einen Feldstecher an die Augen, ließ ihn wieder sinken und lächelte versonnen.
    Holmes kannte keine Scheu. Wenn er es für angebracht hielt, sprach er jeden an, ob er ihm nun vorgestellt worden war oder nicht. So auch in diesem Fall. »Entschuldigen Sie bitte, mein Herr«, sagte er. »Sie sehen wie ein Einheimischer aus, der sich hier bestens auskennt. Wir hingegen sind zwei Feriengäste und zum ersten Mal in dieser Gegend unterwegs. Bitte erklären Sie uns doch freundlicherweise das Landschaftspanorama, sobald wir das Weichbild der Stadt verlassen haben. Aber natürlich nur, falls wir Ihnen damit keine Ungelegenheiten bereiten.«
    »Keinesfalls. Sie bereiten mir keine Ungelegenheiten. Und in der Tat, Sie haben recht. Ich stamme aus einem der Orte hier in der Nähe. Das haben Sie brillant erraten.«
    »Nein, nein, das hat mit Brillanz nichts zu tun. Ich habe lediglich aus einigen Äußerlichkeiten meine Schlussfolgerungen gezogen.«
    »Da bin ich aber gespannt. Woran lassen sich meine Herkunft oder vielleicht sogar meine Deszendenz [ 1 ] erkennen? An dem vielen Ballast, den ich bei mir trage? Wirke ich wie ein Kleinkrämer, der sich auf dem Weg zu seinem Laden befindet?«
    »Keineswegs«, entgegnete Holmes. »Ihr Gepäck deutet auf etwas völlig anderes hin. Es ist evident, dass Sie geradewegs von einer Kur kommen. Nein, ein Fremder können Sie aus mehreren anderen Gründen nicht sein, von denen jeder einzeln betrachtet sicher bedeutungslos sein würde, die aber in ihrem Zusammenspiel einen Sinn

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